Größenwahn
hatte, einen Anfall von Liebessehnsucht erhielt, der einen totalen Rückfall des Reconvalescenten in seine alte Krankheit bedeutete? Die Erzählung von der angeblichen Bismarck'schen Liebesaventüre umnebelte vollends seine geblendeten Augen. Ah, also selbst die großen Männer der That beugten sich der allmächtigen Venus. Um wieviel mehr also die Künstlernaturen. Rother's Größenwahn erwachte wieder: Sein besonderes Liebessiechthum schien ihm gleichsam ein besonderes Zeichen seines Ingeniums. Die aufreizenden erotischen Phrasen Knorrers fielen so auf fruchtbaren Boden und bald wucherte das Unkraut empor, daß es Rother über den Kopf stieg. Grade Kathi's anständiger Brief und die Andeutungen, die ihm Frau Lämmers gemacht, entfachten aufs neue in ihm die alte Liebe. Sollte er das herrliche Geschöpf nun also wirklich den Klauen eines solchen verlebten Kohlkopfs überlassen? So sollte das enden? Der alte Irrwahn betäubte ihn aufs neue. Trotz seiner bitteren Erfahrungen damit, construirte er sich Kathi wiederum als eine edle ungewöhnliche Natur zurecht. War es nicht gradezu seine Ritterpflicht, das arme unglückliche Wesen zu retten?
Zudem, war er selbst nicht, mitschuldig an allem? Hätte er damals nicht nach Hamburg so unzarte Beleidigungsbriefe geschrieben, so wäre gewiß der ganze Krach und Skandal mit all seinen Consequenzen verhütet worden.
Als sich Rother bis zu diesem Punkt hineingeredet hatte, hielt es ihn nicht länger und er suchte unverzüglich nach seinem Koffer. Was hatte er denn eigentlich auch zu versäumen und was interessirte ihn sonst auf der Welt? Er war ja als Künstler frei und ungebunden genug, um nicht an die Scholle gefesselt zu bleiben. Direkten Geldmangel kannte er nicht. Sein angefangenes Bild konnte er ruhig auf der Staffelei trocknen lassen. Eine Studienreise nach dem Norden (falls die Vermuthung von Frau Lämmers richtig) konnte ihm nur gut thun. So mochte er das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden. Die Hauptsache war vorerst, in Hamburg das entflohene Wild aufzuspüren.
Mit der trotzigen Afterstärke weichlicher Naturen setzte er mit aller Hast seinen Vorsatz ins Werk. Für Krastinik hatte er gethan, was in seinen Kräften stand. Dieser fand also richtig in dem jungen Verleger, der sein väterliches Erbtheil standesgemäß zu verputzen wünschte, den bekannten Dummen, der ihn druckte, zumal die Gedichtproben Krastiniks im »Bunten Allerlei« von dem großen Wurmb mit feierlicher Leutseligkeit in einer Randglosse angepriesen waren. Wurmb that sich nicht wenig darauf zu Gute, »dieses vielversprechende Talent in seiner Schule heranzuziehn und ihm stets die Spalten des ›Bunten Allerlei‹ offen zu halten.«
Als nun gar Graf Krastinik mit dem jungen Gentleman-Verleger mehrmals Skat spielte und einmal mit demselben spazieren ritt, auch die sehr kostspielige Maitresse desselben mit Kennerblicken lobte – verschwor sich der junge Mann, seinen gräflichen Freund zu »machen«. Demgemäß druckte er dessen sämmtliche Gedichte und drei Dramen-Fragmente dazu in unmäßig opulenter Ausstattung mit Schwabacher Lettern auf Velinpapier mit gothischen Initialen und ließ ganz besondere Einbanddecken zeichnen. Sodann inserirte er in allen Berliner Blättern diese herrlichen Einbände, im Reklame-Stil der »Goldnen hundertzehn«. Das Inserat fing an:
» Ein neuer großer Dichter
erstand
unstreitig
in Xaver Graf Krastinik .«
Man empfahl darin diese Dichtungen dem Busen sämmtlicher deutschen Jungfrauen. Das zündete. Dreizehn Familienblätter (– zuerst von allen die »Gartenlaube«, durch den Tod unsrer unvergeßlichen Marlitt noch in herbe Wittwentrauer versunken –) meldeten sich dem »hochgeborenen Herrn Grafen«. Dieser aber setzte sich hin und begründete in einem langen Schreiben an die Kommandantur seiner Kavalleriedivision, sowie in einem Brief an den ihm befreundeten Chef seines Regiments, sein Gesuch: fürs erste auf ein bis zwei Jahre zur Disposition gestellt zu werden. Er müsse sich seiner angegriffenen Gesundheit und gewissen litterarischen Arbeiten widmen. Das Gesuch konnte ihm nicht abgeschlagen werden. Uebrigens empfing er die Erfüllung seines Wunsches schon mehrere Wochen hernach.
Rother hatte also jetzt keinerlei Verpflichtung mehr gegen den Freund, den er auf so seltsame Weise erworben und dem er mit auf die Füße geholfen. Dieser war auf dem besten Wege, ein gemachter Mann zu werden, insofern es sich um Befriedigung seines litterarischen
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