Größenwahn
Ehrgeizes handelte. Rother hinterließ daher nur einen kurzen Brief an Krastinik, worin er um Verzeihung bat, daß eine Geschäftssache ihn zu plötzlicher Abreise zwinge. Er werde bald wieder zurückkehren. Da Krastinik nicht das geringste Interesse an Kathi's Wohl und Wehe bekundete, sondern nur Neugierde, wie sich Rother aus der Affaire wickeln werde, so theilte dieser ihm nur ganz allgemein mit, daß die Sache sich in Wohlgefallen aufgelöst habe. »Aha, ich wußt' es ja! Wer droht , thut nie 'was!« Damit hatte sich der gute Freund beruhigt. Auch war Rother viel zu vorsichtig, ihm etwa nähere Details z.B. die Wohnung der Frau Lämmers mitzutheilen. Derlei heimliche Liebesaffairen bilden einen Hang zum Versteckenspielen und steten Argwohn aus.
– Zum zweiten Mal binnen so kurzer Frist landete Rother's lecker Kahn an der Elbemündung.
Siebentes Buch.
Krastinik dichtete nun frisch drauf los. Als höchstes Ideal schwebte ihm die schöne Form, das virtuose Schönreden, vor. Hier waltete ein psychologisches Gesetz ob. Denn, obschon durch innere Stürme hin-und hergerüttelt, verleugnete der Graf natürlich nie den früheren Offizier und die hocharistokratische Erbschaft des östreichischen Feudalgeistes. Der Aristokrat pflegt wie im Leben, so auch in der Kunst die Form . Seinen Standesgenossen, den Pseudo-Dichter Graf Platen bewunderte der edle Lord über Alles. So drechselte er denn an seiner markigen und bilderreichen Sprache, die wie Alles bei ihm auf den Effekt berechnet war, meist so lange herum, bis sie schwulstig und gequält wirkte.
Es gehört zum guten Ton eines Mannes der guten Gesellschaft, daß er Jedermann möglichst viel Verbindliches sage. Man muß sich beliebt zu machen wissen. Krastinik bewährte auch hierin den besten Ton. Er machte jedem Litteraten den Hof und sprach über Jeden gut – aus Klugheit, wobei er natürlich Jedem verschwieg, daß er hinter seinen Rücken ebenso intim mit dessen Todfeinden verkehre. Seine angeborenen Gentleman Manieren fielen unter den Litteratenplebejern wohlthätig auf. Er übervornehmte noch die »vornehmsten« Frack-Geister, den schönen Ernst Kabel und den noch schöneren Emil Buttermann (den Leib-Romanzier der »Berliner Tagesstimme« als Protegé der Frau
Dr.
Bergmann, Chef-Redactrice dieses Weltblattes). So führte Krastinik ordentlich die bisher dort unbekannte Gattung des Offiziers und Junkers typisch in die Dichtergilde ein, ohne indeß mit systematischem Ernst diese Theil-Aufgabe zu verfolgen, die ihm vielleicht eine feste Stellung in der Litteratur gesichert hätte.
Eine besondere Zuneigung bewies dem hochgeborenen Herrn Grafen kein Geringerer, als Heinrich Edelmann . Diesen Messias der Poesie, welcher alle drei Jahre ein lyrisches Gedichtchen als epochemachende Missethat verübte, verehrte Alldeutschland als Leiter eines umfangreichen Pump-Systems. Auch die Mildthätigkeit edler Freundinnen hinter den Coulissen wirkte in wohlthätigem Halbdunkel. Seine berühmteste Leistung bildete das lyrisch-melodramatisch-symphonische Opus »Paris«, worin die Belagerung von Paris und die Kaiserproklamation mit gegenseitig auftretenden Massen-Chören in zwölftausend griechischen Tetrametern besungen wurden.
Sein Aeußeres schien unheilverkündend: Er glich einem verhungerten Aasgeier. Seine Raubvogelnase, seine blutlosen schmalen Lippen, sein mangelndes Kinn, sein lauernder Blick bildeten für den Physiognomiker ein anmuthiges Ensemble, welches durch seine sauber elegante Kleidung, sowie sein liebenswürdiges und doch reservirtes Wesen, in welchem er den sinnenden Idealisten herauszubeißen strebte, nicht verdeckt werden konnte. Seine Lieblingsstellung, in welcher boshafte Aufpasser wie Schmoller und Leonhart ihn häufig mimisch abkonterfeiten, entpuppte unbewußten Selbst-Verrath. Er saß dann nämlich fromm und vornehm als Jesuitenpater am Tisch, nur hier und da ein salbungsvolles Wörtlein mit seiner stillen sanften Stimme lispelnd, und blickte die Redenden mit verklärtem Schief-Blick an, während sein Denkerhaupt halb zur Seite hing und seine Hand unterm Tisch seinen gold-umränderten Kneifer putzte. Man mußte bei dieser unterm Tisch hantirenden Hand unwillkürlich an »Mogeln« beim Kartenspiel denken.
Eigentlich war er nur ein halber Mann, eine Hälfte, wie ein Siamesischer Zwilling, der mit einem andern Wesen verwachsen. Seine schönere Hälfte stellte nämlich ein Herr Rafael Haubitz vor, mit welchem zusammen er eine Serie kritischer
Weitere Kostenlose Bücher