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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Erlaubniß, sie so oft als möglich, während er London mit seinem Aufenthalt beehre, zu besuchen. Dies mit vielsagendem Augenaufschlag.
     
    Krastinik trieb sich Wochen lang im Londoner Vergnügungsleben umher. Er speiste viel im Criterion Restaurant, nahm seinen Abendpunsch im Café Monico, schlenderte in Canterbury Hall und Cremorne Gardens umher, besichtigte Foot-Ball Races im Windsor Park, bestand kleine Abenteuer im nächtlichen Haymarket, ließ sich im Krystallpalast von deutschem Orchester Händel'sche Oratorien vorblasen-und singen, schloß auch die vielen Museen und sonstigen Wissensanstalten und Sammlungen Londons nicht von seiner Aufmerksamkeit aus.
    Zu Mrs. O'Donnogan kam er mittlerweile in ein freundschaftliches Verhältniß und schnitt ihr gewaltig die Cour. So las er ihr bald ein neues Impromptu vor, das er auf sie verfaßt.
     
    Ach, da ist schon Numero 70!
    Ach, vor ihrer Thüre bin ich!
    Sie, in die mein Herz verliebt sich,
    Ist so grausam und so minnig.
    Nennt sich selbst Bohemienne.
    Sagt, da Musiker und Grafen
    Sie als echte »Böhmen« kenne,
    Daß drei Böhmen hier sich trafen!
     
    Bei Vorlesung dieser gutgemeinten Reime unterfing er sich jedoch, in aller Ehrfurcht ihr die Thatsache zu unterbreiten, daß der ›Böhmer-Graf‹ in Wahrheit einem der ältesten Adelsgeschlechter Oesterreichs angehöre, welches manche feldherrliche Heerestrommel (von der man nur hört, wenn sie geschlagen wird) in den Geschichtsannalen zu den Seinen zähle. Uebrigens sei er kein Böhme , sondern ein ritterlicher Magyar .
    Das wirkte denn doch erheblich auf die kleine Frau und dämpfte die beiläufige Geringschätzung, mit welcher man in England auf continentale Grafen herabzusehen pflegt.
     

V.
     
    Man hatte eine Landparthie zu Wasser nach Richmond gemacht – Krastinik, Dorringtons, die O'Donnogan, Alice Egremont. Maud hatte sich entschuldigen lassen: sie räumte vorsichtig ihrer Schwester das Feld.
    Die Sonne tauchte wie eine schwefelgelbe runde Glocke in die Themse und schien dann zu versinken, wie ein umgestürzter Goldkelch, der seinen güldenen Strahlenwein langsam verrinnen läßt. Zwischen den schwarzgrünen Taxushecken von Richmond Park blitzte noch hier und da eine grellrothe Centifolie auf; die Fenster des Schlosses von Twikenham glänzten wie Rubinen.
    Als man an Pope's Villa vorüber kam, rief Dorrington neckisch: »Nun, spring' aus Land, Dichter Xaver, wie Wilhelm der Eroberer, und küß' den Uferrasen!«
    »Warum?« gab Xaver etwas erröthend zurück.
    »Um die ganze englische Muttererde der Dichtung Dein Eigen zu nennen.«
    Mrs. O'Donnogan und Miß Alice lachten verstohlen. Das Dichterthum des gräflichen Rittmeisters, welches durch Dorringtons wohlwollende Späße nun schon lange bekannt geworden, amüsirte sie.
    Die lebhafte Irin hänselte ihn ein wenig. Bei Miß Alice aber mischte sich der Neugierde eine gewisse Verachtung. Wie vulgär! Wozu Verse schmieden! Damit macht man sich nur lächerlich und verräth eine selbstüber, hebende Einbildung. In deutschen Büchern (Alice cultivirte letzthin das Deutsche besonders eifrig, was ja auch ohnehin bei der englischen Gesellschaft in Mode kommt) fand sie dafür die Bezeichnung »Größenwahn«.
    Kein Zweifel, der gute Graf litt etwas an Größenwahn.
    Nach dem Ausflug kam man in einer kleinen Villa in Chelsea am Themse-Embankment zusammen, welche Dorringtons gehörte, die sie aber nur selten bewohnten, und nahm dort auf dem Balkon den Thee ein. Alice hatte ihren Diener, die O'Donnogan ihren Wagen dorthin bestellt, um sie abzuholen.
    Der Abend, der mit purpurnen Fittichen umherfächelte, übergoß alle Wiesen und Bäume mit verschwenderischer Pracht.
    »Eine rothe Weihrauchkerze auf dem Tabernakel der Schöpfung!« Krastinik freute sich seiner Gleichnißfindigkeit, eitel wie ein Poet von zwei Semestern. Der wohlwollende Lordunterließ nicht, die Damen auf den Tiefsinn der Krastinikschen Phrase aufmerksam zu machen, worauf auch Milady eine gehörige Erläuterung hinzufügte. Die sogenannte Poesie sollte als Mitgift-Kupplerin herhalten.
    Eine eigenthümlich schwermüthige Stimmung bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft. Selbst Mrs. O'Donnogan blickte ernst vor sich nieder.
    »Wenn man bedenkt, daß auf solchen Abend und auf jede Sonne die Nacht folgt!« sagte sie plötzlich.
    »Ganz was ich eben dachte!« hauchte Miß Alice.
    »Pah, wer weiß, ob die Nacht nicht der gesunde Schatten des Lichtes ist,« warf Lord Dorrington hin.
    »So wie etwa der

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