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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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schrieb er an Lord Dorrington, um seinen plötzlichen Aufbruch zu entschuldigen, und bat, ihn besonders den Damen empfehlen zu wollen. Leichten Herzens warf er sich endlich in ein Cab und gelangte rechtzeitig nach St. Katharine Docks zu seinem Schiff.
    Das weiße Hospital von Greenwich und die grüne Marschfläche von Gravesend, die in der Ferne fast den Wasserspiegel gleich einer schwimmenden Seekrautinsel zu berühren scheint, wichen hinter ihm eher zurück, als er sich seines kühnen Scenenwechsels recht bewußt schien.
     

Zweites Buch.
     
Berlin!
    Das Leben wogte vielgestaltig mit Ebbe und Fluth. Aber die Stadtbahn überbrückte und übertönte die Brandung mit ihren donnernden Flügen.
    Die Rauchwolken, bald senkrecht aufsteigend, bald sich kräuselnd, schienen vom elektrischen Licht der Plätze durchschimmert. Es war, als ob der Dämon des elektrotechnischen Dampf-Jahrhunderts mit lüsternem Fauchen die ihm geweihte Stätte fieberhafter Geld-und Genußgier als Schirmgeist umkreise; als ob die Schlachtmusik seiner ehernen Lokomotivräder aufmuntere zu rüstigem Fortwürgen im Daseinskrieg, der in der Reichsweltstadt seine entscheidende Hauptschlacht schlägt.
    Von den unruhigen Athemzügen der Lokomotiven erschüttert, flackerten die Lichtreflexe der Gasflammen wie unstete Irrlichter über den schwarzen Tiefenflächen der Kanäle.
    Ein eigenthümlicher silberiger Schein zittert kegelförmig über den Trottoirs oder über den Sandwegen der »Linden«, wo elektrische Strahlencentren wirken.
    Wo ist das Gewimmel, wo der Lärm am ärgsten? Am Alexanderplatz, wo aus den Hallen und Bogengängen des Sedanpanorama-Restaurants es huscht und drängt? Am Potsdamerthor, wo die grünen, rothgrünen und gelben Lichter der Tramway-Wagen sich kreuzen? In der Passage, durch deren gelbe Steinmassen sich das elegante Bummelleben der Linden dem burschikosen oder geschäftlichen Treiben der Friedrichstraße entgegenwälzt?
    Das weißgelb-röthlich schillernde Uhr-Auge des Rathhausthurms – stier und allsehend wie immer, als könne vor ihm das Verborgenste nicht in dunkle Schlupfwinkel sich bergen – blinkt einsam über die mählich entschlummernde Weltstadt hin. Nur die Wiener Cafés und wenige röthliche Laternen zweifelhafter Spelunken glitzern noch. Letztere erlöschen bald; alle Vorhänge Berlins werden geschlossen. Alles so still. Das Museum und das Schloß in majestätischen Schatten getaucht, von dem schwarzen faltigen Mantel der Nacht umwallt, dessen sternbestickter Hermelinsaum über den mondscheinhellen Lustgarten hinschleift. Die ganze breite Front – rechts von der Schloßbrücke, wo der Große Kurfürst in eherner Ruhe als Schutzgenius über Altberlin hinschaut, und links vom Dom über den Schloßplatz hin – eine schnurgerade Linie von Laternen. Sie laufen direkt am Palais des greisen Kaisers vorüber auf die Reiterstatue Friedrichs des Großen zu, als ob sie Rauch von Schlüter grüßen wollten. Sie pflanzen sich ununterbrochen fort bis zum Brandenburger Thor, wo die Siegesgöttin droben Parade abzuhalten scheint über diese Licht-Gardisten, die steif und stramm zwischen den Menschen- und Wagenknäueln Spalier bilden. Sinnbilder des Preußenthums, so gut wie die Blücher, Scharnhorst und Yorks an der Hauptwache.
     

I.
     
    Eduard Rother befand sich in einer räthselhaften Stimmung, als er von München abfuhr. Mehrere Monate lang war er dort stillvergnügt durch die Bierkneipen umhergebummelt, vom Hofbräu ins Löwenbräu, vom Achaz in die Scholastika, vom Orlando di Lasso in den Rathskeller. Seine Collegen von der edlen Malerzunft hatten wenig Weltschmerz an ihm bemerken können; nur ab und zu war ein Ausdruck mißvergnügter Unruhe über seine Züge gehuscht. Dann zuckte seine Lippe, seine Augen zwinkerten und er hob unbewußt die Hand nach der Schläfe, wie um etwas fortzuscheuchen, das ihn mit grauen Fledermausflügeln umflatterte. Auch wollten ihm Verschiedene angesehen haben, wenn ein Seufzer es unwillkürlich verrieth, daß er irgend eine unglückliche Liebe oder eine verrückte Leidenschaft mit sich herumschleppe. Denn Gewissensbisse konnte man doch kaum vermuthen.
    Ein großer Genremaler erinnerte sich noch, daß Rother nervös und verlegen geworden sei, als man ihn gefragt habe, woher der famose Studienkopf stamme, den ein Illustrirtes Blatt kürzlich von ihm veröffentlichte; ob dies Prachtexemplar des weiblichen Kraftadels, »Motiv aus Karl Stielers Hochlandsliedern« einem lebenden Modell

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