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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Tod den Schatten des Lebens bildet.«
    »Oder auch umgekehrt,« seufzte die Lady halblaut.
    »Sehr richtig, gnädige Tante,« meinte Krastinik.
    »Vielleicht ist das Leben grade der leuchtende Schatten, den der Tod wirft. Denn der Tod ist ja doch das eigentliche Sein, zu dem Alles zurückkehrt. Unser Leben – mein Gott, was bedeutet denn das! Eine Art Traumbild zwischen Schlaf und Schlaf, ein kurzes Nachtwachen.«
    Niemand antwortete. Nach einer Pause hob der alte Lord an, mit leicht zitternder Stimme: »Ja, das sagst Du wohl so, lieber Xaver. Aber Du bist eigentlich noch zu jung, um recht zu fühlen, wie wahr das ist, was Du sagst. Blickt man so auf sein Leben zurück – well, wir säen und werden doch wohl nimmer ernten. Dies ewige Säen bekommt man satt. Da dreht man sich ewig im selbstumgrenzten Kreis gemeiner Freuden und gemeiner Leiden. Und diese ganze Erde, die so strahlend vor uns liegt – nichts als der Spielball einer unbekannten Gewalt, durch den Abgrund der Ewigkeit hingeschleudert.«
    Wieder antwortete Niemand. Nur Miß Egremont hob nach einer Weile ihre ernsthaften Augen zu dem greisen Sprecher auf und lispelte: »Aber das Jenseits, Mylord!« Dies Wort rief gleichsam eine automatische Geistesschwingung in der galanten Irländerin wach und sie schmollte betrübt: »Ach gehn Sie, Sie Skeptiker! So muß man nicht denken, so soll man nicht denken.«
    Dorrington zuckte ungeduldig die Achseln und starrte in die scheidende Sonne. Plötzlich sprach seine Gattin:
    »Und das Alles, ist noch nicht das Schlimmste. Aber auch wir Menschen verstehn ja einander nicht. Mir ist, als ob keine Seele der anderen lehren könnte, was ihr gelehrt ward, als ob kein Mensch den andern sähe wie er wirklich ist, als ob kein Herz dem andern Herzen ganz bekannt wäre.«
    Und die beiden alten Leute seufzten, verloren in allerlei Erinnerungen.
    »Ja, man kann sich nie aussprechen,« Miß Alice sah den Grafen mit ihrem ruhigem Lächeln an. »Der Gedanke ist so viel tiefer als die Sprache.«
    »Und das Gefühl so viel tiefer als der Gedanke,« hauchte die Irin. »Meinen Sie nicht auch, Graf?«
    Die Abendsonne umspielte die schmalen Aeste und über den Stamm selbst lief der röthliche Schimmer fort, so daß sein blasses Braun eine fast zimmetähnliche Färbung erhielt. Das sah gespenstig aus inmitten des goldig durchrispelten grünen Laubwerks, durch das der Lichtball schläfrig blinzelte. Wie das Schuppengewand einer Boa, schillerte die Themse in ihren Windungen. Dann hob sich ein frischer Luftzug im Osten, der die grünen Epheuranken, welche vom Gärtchen her den Balkon umspannen, spielend blähte.
    »Ja, ich meine das auch,« erwiderte Krastinik ernst auf die bedeutungsvolle Frage. »Ein schattenhafter Vorhang liegt gleichsam zwischen uns und der übrigen Welt. Und unser tiefstes Vertrauen kann den Vorhang nicht entfernen.«
    »So und doch streben wir alle nach Sympathie für einander?« warf Alice schüchtern ein. Krastinik hatte sich erhoben und blickte fest auf die Sprecherin nieder, ohne eine Antwort zu finden. Ueber das Antlitz des alten Lord glitt ein sanftes wohlwollendes Lächeln:
    »Nun ja, wir sind wie Säulentrümmer eines zerstörten Tempels, der einst vereint war. Hoffen wir also, daß wir in unsern späten Nachkommen uns vielleicht einst wieder zusammenfügen werden. Aber wer weiß wo, wie und wann?«
    Krastinik küßte seiner Tante die Hand und empfahl sich. – »Wir sind heut alle so fabelhaft geistreich gewesen,« lachte die lustige Irin beim Abschiednehmen auf.
    »Ich bin ganz melancholisch. – Trifft man Sie nächste Woche auf dem Ball beim Unterstaatssecretär, Herr Graf?« Sie hatte schon ihr Füßchen auf das Trittbrett ihres Wagens gestellt, der auf sie wartete. Miß Egremonts Diener holte sie gleichfalls pünktlich ab.
    »Wohl kaum. Ich habe keine Einladung dazu.«
    »O! Soll ich – ich bin dort gut bekannt –«
    »Zu gütig,« wehrte Jener kühl ab. »Ich dürste gar nicht darnach, mir jeden Abend die Beine in den Leib zu stehen – pardon! Ihre englischen Routs sind doch gar zu ungemüthlich.«
    Mrs. O'Donnogan grüßte etwas pikirt, und biß mit erzwungenen Lachen in den sauren Apfel des Refüs. Er hätte doch den Hochgenuß, sie dort zu finden, würdigen sollen! So sind die Männer.
    Graf Xaver beschloß, den Weg nach Hause zu Fuß zurückzulegen, und schritt rüstig aus, indem er vor sich hinpfiff: »Ach, ich hab' – sie ja nur – auf die Schu – lter gekü – ßt.«
    Der Mond rollte durch das

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