Größenwahn
gesund. Ja, ich gestehe gern, ich bin ein böser Mensch. Seine Majestät Karl VII., Seine Hoheit den Herrn Herzog von Burgund und andre erlauchte Wesen, an die ein niedriggeborener Plebejer wie ich nur mit Ehrfurcht denken sollte, möchte man noch nachträglich mit der Schärfe des Schwertes in Stücke hauen. Aber wenn man das Leben Jeanne d'Ares, dieses kleinen Bauernmädels, vor sich aufsteigen läßt, dann vergießt man die bittersten Thränen.«
»Sie können auch Thränen vergießen?« fragte der Oberst ironisch.
»Versteht sich. So sentimental sind wir Realisten – wir, denen es einen Hochgenuß bereitet, dreiste Unfähigkeit, gemästete Dummheit, strebende Schusterei mit unversöhnlichem Hohn und Grimm zu verfolgen, zu brandmarken, zu würgen.«
»Na, na! das wird ja gefährlich!« Der Oberst z.D. rückte ordentlich vom Tisch ab. Leonhart aber fuhr begeistert fort:
»Ach, um so leuchtender, verklärt in himmlischer Glorie, hebt sich von diesem höllendunkeln Hintergrund die Lichtgestalt des Engels ab, den der Weltgeist wie den Hirtensohn Isais erweckte zur Befreiung des Vaterlandes! Die ganze Geschichte der Jungfrau liest sich wie das Evangelium Johanni. Sie erscheint als der weibliche Heiland der Menschheit. Grade das wirkt so unbeschreiblich rührend und herzbewegend, daß dies überirdische Geschöpf äußerlich stets das einfache Mädchen aus dem Volke blieb und die Schwäche ihres Geschlechtes nie verleugnete. Es mag Schopenhauerianer zum Nachdenken anregen, daß die reinste Heldengestalt der Geschichte ein echtes Weib gewesen ist. Als sie zum ersten Mal vor Orleans verwundet wird, fängt sie an zu weinen. Aber nur einen Augenblick, denn sie hat ihre ›Stimme‹ vernommen. Ihre ›Stimme‹! Die seichte Naseweisheit des naturwissenschaftlichen Materialismus hat sie deswegen eine ›hysterische Person‹ genannt. Aber Jeder, wer sich dem Ideale weiht, Held, Heiliger, schöpferischer Künstler, hört diese unsichtbare Stimme, in mehr oder minder vergeistigter Form. Die wunderbare Intuition, der durchdringende Mutterwitz in Beurtheilung praktischer Dinge, der stete Blick für die Realität, den sie stets bewahrte, neben der schwunghaft transcendentalen Begeisterung zeigt in diesem abnormen Wesen unzweifelhaft das, was wir Genialität nennen.«
»Sehr schön,« sagte Dondershausen nach einer Pause. »Und doch sagten Sie, Voltaire, der sie so schnöde beschimpft, sei Ihnen noch lieber als Schiller's Apotheose?«
»Ja. Es war ein schönes Wort von Gambetta, sein Herz sei groß genug, um Voltaire und die Pucelle zugleich zu beherbergen. In der That, bei all seinen Sünden und Mängeln trug Voltaire selbst viel von jener heiligen Flamme in sich, welche die ritterliche Jungfrau durchzuckte. Das glorreiche, obschon mit Peinlichem gemischte Andenken dieses großen Streiters darf durch kleinliche Benörgelungen nicht getrübt werden. Glauben Sie übrigens nicht, daß ich Schiller herabsetzen will, den ich hoch verehre. Den Geist dieses Sehers beseelte eine ähnliche Lauterkeit, wie den seiner und unserer Madame von Orleans.«
»Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen
Und das Erhabene in den Staub zu ziehn!
Doch fürchte nicht! Es giebt noch schöne Herzen,
Die für das Hohe, Herrliche entglühn.«
Citirte der alte Soldat mit Salbung. »Ich kann mir nicht helfen, mein lieber Leonhart, so 'was darf doch nicht realistisch, sondern mit idealer Verklärung behandelt werden.«
»So, Sie finden Schiller's Geschichtsfälschungen ›ideal verklärt‹? Bedaure. Wir bösen Realisten sind andrer Ansicht. Nicht mit dem Phrasen-Schnickschnack ›Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude‹ stirbt eine Bekennerin wie Johanna. Sie war wollt Schillern nicht rhetorisch genug, die schaurige Wahrheit, wie sie aus den Flammen noch mit fester Stimme rief: ›Meine Stimmen waren von Gott, sie haben mich nicht betrogen.‹
Als sie auf dem Scheiterhaufen stand, war ihr letzter Gedanke: ›O Rouen, ich habe große Angst, daß Du um meinen Tod zu leiden haben wirst !‹ So blieb sie bis zum letzten Moment ein Wunder selbstloser Aufopferung, getreu dem Beispiel des Gekreuzigten, mit dessen Namen auf den Lippen sie verschied.
Ist die ›Ketzerin‹ aber erst verbrannt, dann besudelt man noch ihre Gebeine, indem man sie später zur Schutzpatronin des pfäffisch-royalistischen Obscurantismus zurechtschneidert!«
»Hm,« machte Dondershausen, »Schani, zahlen!« Es wurde ihm sehr ungemüthlich in der Nähe
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