Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
dieses Revolutionärs. Jener aber docirte unbeirrt fort:
    »Nein, die Weltgeschichte ist kein Chaos von Gräuel und Unsinn, wie quietistische Pessimisten, die selbst keinen Finger rühren würden für eine tapfere That, gerne behaupten. Sehen wir nur auf die ›höheren‹ Stände, auf das Getriebe der sogenannten ›Politik‹, den brutalen Kampf ums Dasein auf der schimmernden Oberfläche der Gesellschaft – denn allerdings scheint das Bild für den Wissenden ein trübes. Aber fort und fort offenbart sich der heilige Geist zur Rettung der verschlammten Welt unter den Unscheinbaren und Geringen. Der Unterdrückten Vorrecht ist das Genie – ihr Vorrecht und ihre Rache.«
    »Empfehle mich. Auf Wiedersehn.« Herr von Dondershausen nahm seinen Hut und machte sich aus dem Staube. Erich von Lämmerschreyer half ihm dienstbeflissen, wie es seine Art, in den Ueberzieher hinein und complimentirte den Herrn Oberst ganz gehorsamst mit vielen Bücklingen bis zur Thür. Er mißbilligte aufs tiefste die thörichte Weltunklugheit, einer so gewichtigen Person verstockt zu wiedersprechen. »Haben Sie das Neuste von Hamerling gelesen,« fragte er, um zu einem neuen Thema abzulenken, »seine Gedichtsammlung ›Blätter im Winde‹? Großartig, nicht?«
    »Recht hübsch,« sagte Leonhart trocken. »Du lieber Gott? Wie kann etwas in Versen heut großartig sein? ›Großer Dichter‹ las ich neulich in dem Artikel eines unreifen Epigonen über den Guten. Wer heut nicht in Prosa schreibt, zeigt schon an sich, daß er kein großer Dichter ist.«
    »Das scheint mir doch etwas einseitig.«
    »Durchaus nicht. Wie kann man anders als in Prosa die großen Fragen der Zeit realistisch, wahrheitsgemäß behandeln? Und wer das nicht kann und will, ist überhaupt kein Dichter im höheren Sinn, sondern ein Epigone.«
    »Aber in Hamerling's Epen, wenn sie auch in entlegenen Zeiten spielen, werden doch alle Fragen der Gegenwart berührt.«
    »Sehn Sie, darin liegt grade der Fehler! ›Es giebt nichts Neues unter der Sonne‹ diese Ben Akiba-Phrase ist eine der elendesten, die je verbrochen. Es giebt jede Minute Neues. Die Natur macht kein winziges Blättchen in ihrer unerschöpflichen Fülle dem andern ähnlich – und da sollten Menschen und Dinge sich gleichen? Ewig gleich sind nur die großen Gesetze der Entwickelung. Wer das Alterthum ›realistisch‹ zu schildern meint, macht sich für den Geschichtsforscher lächerlich. Wir können uns absolut nicht in den Gedankengang antiker Menschen versetzen. Und wer gar moderne Ideen in antikem Gewande aussprechen will, der thut der Geschichte wie der Dichtung und endlich sich selber, dem modernen Dichtermenschen, Gewalt an. Dostojewski im ›Raskolnikow‹, Zola im ›Germinal‹ – das sind wahre echte Dichter.«
    Die Beiden verließen das Café Bauer. Es war so schneidend kalt, daß sie unterwegs im Café Kaiserhof einkehrten, um sich durch einen Grog zum Weiterwandern, zu stärken. Leonhart gerieth dabei in so gereizte Stimmung, als er am Nebentisch einige »politische« Journalisten ihr unreifes Tagesgewäsch über die »Wahlen« verzapfen hörte, daß er Lämmerschreyer'n laut fragte, warum er nicht politischer Journalist geworden sei. Wie könne man ein so schlechtes Metier wie das des Dichters ergreifen, wo man heutzutage ungeheur viel Geist nöthig habe, um überhaupt nur aufzukommen! Zum politischem Journalisten aber gehöre nur eine gehörige Portion Frechheit neben Dummheit und Unwissenheit, um Schiedsrichter Europas zu werden. Er solle mal hören, wie der Größenwahn der politischen Publicistik aus alles »Belletristische« herabschaue!
    In gleichem Stil schimpfte er auf dem Heimweg weiter. Da sei neulich ein Vetter zu ihm gekommen, der als Offizier in die Armee getreten sei. »Ein Knabe von neunzehn Jahren!« Da sagte ich zu mir: »Du Junker, der Du nichts bist und weißt, stehst jetzt bereits in der Achtung der Gesellschaft zehnmal höher, als Ich, der ...« er wollte sagen »der große Dichter«, verschluckte es aber anstandshalber, »Jaja, mein Lieber!« Die Beiden hatten sich bierselig untergefaßt und schwankten mutterseelenallein durch die bitterkalte Nacht, die durch das bläuliche Licht der elektrischen Laternen auf dem Leipzigerplatz gleichsam noch eisiger angefröstelt wurde. »Darum seien wir uns klar, daß man nicht vorsichtig genug in der Wahl seiner Eltern, aber noch vorsichtiger in der Wahl seines Berufes sein muß. Wir haben das allerschlechteste Theil erwählt. Wie konnten

Weitere Kostenlose Bücher