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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Dichters gedachten, dem Frankreich die würdige Apotheose seiner Nationalheldin überließ, nach der abscheulichen Pucelle von Voltaire.«
    Er schien jedoch nicht auf eine gleichgestimmte Seele zu stoßen. Wenigstens bewies Leonharts Schweigen und Räuspern, daß keine verwandte Saite bei ihm berührt war. Endlich brach er los: »Na, offengestanden, Herr Oberst, da ist mir die ›Pucelle‹ voll Voltaire doch noch lieber!« Dondershausen fuhr ordentlich zurück. »Sehn Sie, Schiller hat sich überhaupt unfähig gezeigt, diese Idealgestalt in ihrer strengen Würde zu begreifen. Bei ihm ist Alles falsch und verzerrt. Die Weiblichkeit der makellosen Jungfrau sucht er in ihrer sinnlichen Verliebtheit. Und dabei läßt er den jungen Montgommery vergebens ihr Erbarmen anflehen, während in Wahrheit Johanna die Verwundeten pflegte und über die todten Feinde Thränen vergoß.
    Freilich, der sentimentale Quatsch in Schiller's Melodrama, der auf die Höhere Tochter bedeutende Rücksicht nahm, bezaubert den Mob. Was wäre Johanna für unsre Backfische, wenn sie sich nicht in Lionel verliebte und zwar beim ersten Blick auf Befehl des Herrn Dichters. Die arme Johanna!
    Ach, sie war so weich wie heldenhaft, so bescheiden und so stolz – denn die Herrn Prinzen und Connetables wußte sie gehörig anzulassen, wenn sie nicht Ordre parirten.«
    »Hm, ich denke, sie war so faust und anspruchslos ...«
    »Ja wohl, in persönlichen Dingen. Aber daneben betonte sie in ihrer erhabenen Kindlichkeit doch stets ihr Allmachtsbewußtsein als Trägerin einer göttlichen Mission. Bei der Krönung zu Rheims, wo das eingeborene heimische Volksthum im Dauphin gesalbt wurde, stand sie in ihrer Rüstung, die Fahne in der Hand, allein am Altar neben dem König. Das ließ sie sich nicht nehmen, das nahm sie als ihr Recht von Gottes Gnaden in Anspruch.«
    »Ja,« meinte Dondershausen, um irgend etwas zu sagen; er war so betroffen. »Da wurde der legitime König direkt von Gottes Gnaden gesalbt.«
    Leonhart brach in ein lautes Gelächter aus. »Mit heiligem Oel, nicht wahr? Dieser Kotmensch in seiner allerhöchsten Erbärmlichkeit! Und für den mußte die Himmelsgesandtin, vom Gottesgnadenthum ihres Genius umstrahlt, sich opfern!«
    »Erlauben Sie, Herr Leonhart,« fiel der Oberst etwas erregt ein. »In Schillers Darstellung ...«
    »Na natürlich!« Leonhart schlug mit der Faust den Tisch. »Edler König, der ›auf der Menschheit Höhen mit dem Sänger gehet!‹ Edle Agnes Sorel, ›Krone der Frauen!‹ Edler Herzog von Burgund, Stifter des goldenen Vließes, Blume der Ritterschaft!«
    »Nun ja, ›Philipp der Gute‹ hieß er doch?« fragte Jener erstaunt.
    »Versteht sich. Der unritterliche Bube, der die bürgerliche Heldin den Engländern verschacherte, im selben Augenblick, wo er seinen Hohen Orden vom Goldenen Vließ zu stiften geruht! An Lüderlichkeit kam er dem guten König Karl beinahe gleich, und wieviel dies sagen will, mögen die ermessen, die von dem ›Hirschpark‹ dieses Vorläufers von Louis XV. wissen!«
    »Wie, und das duldete die edle Agnes Sorel?«
    »Ja, die wackre betitelte Metze, diese Vorläuferin der Pompadour, die ihrem königlichen Aushälter diesen ›Hirschpark‹ unterhielt!«
    »Ich bin starr. Konnte Schiller eine so grobe Geschichtsfälschung –«
    »Pah, der arme Schiller! O ihr alle, ihr Lieben, seid charakteristische Schöpfungen des deutschen ›Idealismus‹! Die Wahrheit wäre ja gemein, wäre unschön und außerdem – unklug. O nein, die Wahrheit ist halt erhabener und ›poetischer‹, als die Phrasen-Rhetorik schönfärbender Idealisten. Allerdings gehören starke Nerven dazu, um sie zu ertragen. Ich gestehe, die wahre Geschichte des edeln Marschall Rais, Marschall von Frankreich, dieses Teufels in Menschengestalt, der an der Seite der Jungfrau focht, ergötzt mich mehr als der symbolischmystische ›Schwarze Ritter‹. Jaja, wir wissen, daß dem nichtsnutzigen König und seinen hochadligen Maitressen eine verderbte Satanskirche und ein Stallbubenadel würdig entsprachen. Sie waren es wie immer, für die das brave Volk sich opferte und welche die Früchte seines Patriotismus einheimsten. Sie waren es, welche das Heldenmädchen, die Heilige Frankreichs, in ihrem genialen Wirken hemmten und endlich der Kreuzigung überlieferten. Es ist die alte Geschichte.«
    »Für mich eine neue Geschichte,« gestand Dondershausen verblüfft. »Sie rauben mir ja all meine Illusionen, Sie böser Mensch.«
    »So? Das ist

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