Größenwahn
Sie nur so dumm sein, als Dichter geboren zu werden?«
»Ich kann doch aber nichts dafür,« lallte Jener humoristisch. »Und so sind wir's doch will mal, daran ist nichts mehr zu ändern. I was, wenn ich nur genug habe, um grade leben zu können und dabei schaffen kann, bin ich scholl ganz zufrieden,« spielte er sich als Diogenes auf. »Na, nun wollen wir uns mal – he, Droschke! – als schäbiger Geistesproletar ein Nachtfuhrwerk leisten! Adios, Meister!«
»Ja, wollen Sie etwa gleich vierspännig fahren?« murmelte Leonhart.
III.
»Lieber Federigo, komm doch heut Abend in die Weinstube von Huth. Dieser kleine Mensch, der Krastinik, möchte mit uns zusammensein. Er bewundert mich sehr, sagt er. Neulich bei der Ibsenfeier lernt' ich ihn kennen. Hätt'st Du doch nur diesen Pipsen gesehn mit seinem Hofrathsgesicht und seinen Ordensketten! Das will ein Socialist sein, ein Demokrat, haha! Wenn man mich zum Wirklichen Geheimen Oberregierungsrath erheben wollte, ich stieße den Bettel mit dem Fuße fort. O dieser Pipsen, diese feiste Wildente! Ich sage Dir, wie die ›Gespenster‹ sind sie ihm nachgehuscht – K., der Knochenmann, und dann dieser B. mit der Abrahamsnase und Sch. mit der kalten Bulldoggenschnauze, diese zwei Macher in Ibsen-Schwindel –, als Er mal 'rausgehen mußte. Und dann, als er wiederkam (sie standen alle, vor der engen Pforte Spalier) – wie roch der Meister!«
Dein Schmoller .
»Unabhängige Gesinnung. Die ist erloschen. Man hat ja die Zunftkritik zu einem Sinnbild der Unanständigkeit erhoben.« Leonhart schimpfte in nervös erregten Fisteltönen auf Krastinik ein. »Halten Sie doch eine Reihe von Recensionen, lobende wie tadelnde, über irgend eilte ungewöhnliche Leistung, die sich nicht mit den üblichen Cliché-Phrasen abspeisen läßt, nebeneinander! Sie werden schaudern vor dieser abgründigen Unreife. – Sie, Kellner, eine neue Flasche Mosel! Säure vertreibt Säure.«
»Ja wohl,« schrie Schmoller. »Es giebt keine Kritik mehr! Bestochenes Lob, bestochener Tadel! Wer bei jeder Recension den Grund kennt, mag vor Ekel keine mehr lesen. Mit der Diogeneslaterne muß man suchen, nur einen Mann von Ehre unter den Schriftstellern und eine Zeitung von nicht allzugroßer Schmutzigkeit zu entdecken.«
»Ganz richtig,« fiel Leonhart ein, »vor Allem fehlt überall der weite geschulte Blick, der nicht am Aeußerlichen kleben bleibt, sondern ins Innere der Dinge dringt. Das Kennzeichen jeder alexandrinischen Epoche, der seichte und nüchterne Formalismus, weht uns allerorts erkältend entgegen – selbst aus den kritischen Ergießungen der noch leidlich vornehmen und unbefangenen Geister.«
»Aber was wollen Sie denn!« warf Krastinik ein. »Ihre neue Richtung hat ja doch theoretisch auf allen Punkten gesiegt, trotz aller Bajazzosprünge der ›Alten‹! Freilich ein Beweis für die Gewalt der Wahrheit.«
»Ah pah!« rief Schmoller. »Werden diese Vers-Erbrechen, diese rhythmischen Diarrhoës nicht immer noch gepriesen und auf der litterarischen Mode-Tafel servirt? Liebt der biedere Deutsche nicht immer noch, dies schleichende Gift sentimentaler Lüsternheit den Backfischen, Höheren Töchtern und Salondämchen auf dem Weihnachtstische zu kredenzen?«
»Und doch täuscht dies nicht über die litterarische Vernichtung der ganzen älteren Generation. Schränkt doch eure Polemik ein! Ignorirt sie doch!
De mortius nil nisi bene.
«
»Hübsch gesagt, Herr Graf.« Schmoller lachte auf. »Aber diese siegreiche Armee der ›Neuen‹ bildet doch auch nur eine buntscheckige Falstaff-Kompagnie. Was segelt heut nicht Alles unter der Flagge des ›Realismus‹ – daß Gott erbarm! Kraftmeierei, Salonsäuselei, Formdrechselei! In wie Wenigen lodert das Elementar-Dämonische, der eigentliche Grundtrieb der Poesie – von dem unser Freund Leonhart immer redet.«
»Wohl,« sagte dieser ruhig, »aber an glänzender Begabung für alles Technische, an hochgestimmter Auffassung des Schönen, an blendender Stilbehandlung scheint doch kein Mangel. Und was für männliche Charakterköpfe, die sich klar profilirt in kernhaft wuchtigem Vorfechterthum für alles Echte und Gute abzeichnen! Dafür tausche ich gern das wohlabgetönte abgerundete Künstlerthum der Alten ein!«
»Ah pah!« warf Schmoller ein. »Mit Deiner warmen Anerkennungs-Manie hast Du so Viele herangezüchtet, die gar keine Realisten sind. Z.B. Albert Wohlheim, diesen hermaphroditisch weichlichen Romantiker mit seiner krankhaft
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