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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Wann die Herrschaften nach norwegischer Sitte warme Spritzkuchen und Kaffee aus Bett gebracht haben wollten? »O!« meinte Wolffert lachend, »er werde schon selbst rufen, sobald seine ... seine Frau aufgestanden sei.«
    Der Wirth hustete schmunzelnd und verständnißvoll, und zog sich diskret zurück. Seinen Segen hatten die Beiden. Eugen schob den Riegel vor.
    »Es riecht hier schrecklich nach Farbe.« Kathi nestelte an ihrem Mieder.
    »Ja, unerträglich. Da lassen wir einfach das Fenster auf.«
    »Aber ich bitte Dich..« Kathi wandte sich halb schmollend ab, indem sie den klassisch modellirten rechten Arm in die Hüfte stemmte und mit der linken Hand am Munde herumknabberte.
    »I was! Die Sterne freuen sich nur über uns. Sonst hört uns Keiner.«
    »Horch!« Ein eigenthümlich angstvolles Lauschen spannte Kathis Züge, ihre Augen traten weit hervor.
    »Was ist Dir, Liebchen? Der Fjord rauscht draußen. Der hört nicht auf. Der wiegt uns ein als unser Hochzeitlied.«
    »Jaja,« wiederholte sie gedankenlos, indem sie wie abwesend in die Ferne starrte. »Mir war, als hört' ich eine Stimme ... von Jemand ... Ah!« Sie schrie leicht auf – Eugen hatte das Licht gelöscht.
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    Der Norweger lacht ungern und nirgends schweigt man so unheimlich. Der Optimist mag hierin die tiefe Innerlichkeit des Nordländers erkennen. Allein die tiefsinnige Gedankenthätigkeit dreht sich hier doch meist darum, wie man aus einer Krone einen Speziesthaler macht – freilich, wo wäre es anders! Ihre Dichter und Künstler können es nie in ihrer Mitte aushalten, obschon kaum eine Nation der Welt so künstlerisch beanlagt und nur die Dänische reicher an ästhetischen Bildungsphilistern ist. Die Respektabilität in weißer Halsbinde, die über jede wohlriechende Fäulniß den Mantel christlicher Liebe breitet, herrscht in den Städten; im Hochland Haugianische Mystik.
    Die Schrecken der Natur und das Hineinragen ihrer Nachtseiten ins Menschenleben führen oft zu sittlicher Verwilderung. Laster und Leidenschaften treten dort mit verdoppelter Stärke auf, wenn auch die frühere Einfuhr von zahllosen Ankern Branntwein in diese Alpengaue statistisch sehr nachgelassen hat und jetzt manche Thäler als unfreiwillige Temperenzler von Kuhmilch und Milch der Menschenliebe leben. Im Bergensstift fand der norwegische Grimm, Asbjörnson, die Märchen zu schmutzig und grobsinnlich, um sie in seine Sammlung aufzunehmen. Dort war's, wo die Frauen zu jedem gemüthlichen Trinkgelage die »Leichenhemde« ihrer Männer mitnahmen, weil man nicht wissen konnte, was passiren würde. Auch jetzt spielt dort das Seitenmesser (Tällekniv), das auch die Gebildeten manchmal aus Affektation an der Hüfte tragen, eine bedeutende Rolle. Man sitzt stets auf einem Pulverfaß. Der Norweger scheint entweder ein verkniffener Choleriker oder ein sommersprossiger Sanguiniker, der jeden Augenblick in Feuer und Flamme geräth.
    Dazu kommt der republikanische Größenwahn , der, ähnlich wie die praktischen Schweizer auf die »Förschtenknechte Deutschlands«, auf die Händel Europas im Voll-Bewußtsein eines demokratischen Musterstaats herabsieht.
    Dazu noch der Größenwahn der Halbbildung . So sprach der Wirth Wolffert's vier Sprachen, und übte sein Englisch an Shakespeare und Dickens – urtheilte aber, der Letztere sei natürlich viel größer, weil er verständlicher schreibe!! Dieser schauderhafte demokratische Größenwahn des souveränen Pöbels treibt in sogenannten Bauern-Universitäten Nationalökonomie, kaum der A-B-C-Fibel entlaufen. Dieser waldursprüngliche Freiheitsdrang hätte gewiß den seligen Rousseau begeistert. Jeder Düngerhaufen ein ambrosisch duftendes Tropaion des republikanischen Naturstaates!
    »Willkommen in Nordland's Thälern!« rief der biedre Wirth und Toddy nebst Pfeifen wurden aufgefahren. Beide politisirten nun radebrechend drauf los und begossen diese Kannegießerei mit manch tüchtigem Schluck, wobei der biedere Ole immer als Leitmotiv ihres Gesprächs gassenhauerte:
     
    »Ja Deutschland ist groß
    Und Bismarck famos.
    Wir nehmen Alles, was wir können.«
     
    Währenddessen zeigte die Wirthin der schönen deutschen Dame ihre Schmucksachen.
    »Sind die Ladies alle so hübsch in Deutschland, wie Ihre Frau Gemahlin?« fragte Ole indem er sich räuspernd Eugen leicht in die Seite kniff.
    »Hm – wenige,« erwiderte dieser, halb

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