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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Befreiendem erwachte. Er reckte sich gleichsam körperlich und geistig; er straffte die Muskeln seiner Arme und seines verlotterten Hirns, um etwas Besonderes, ihn Emporreißendes zu versuchen. Angesichts dieser gigantischen Natur zersprangen alle Schranken des Conventionellen, als wären sie gemaltes Papier. Denn diese Schranken hat ja nicht die Natur gesetzt, sondern die Thorheit der Menschen. Er sah das kernige Weib neben sich, die gleichsam aufblühte in dieser Urnatur, als wäre sie hier in den mütterlichen Keimboden verpflanzt – und je mehr er sie sah, desto klarer wurde ihm ein Wunsch, ein Entschluß. Ja, das wäre etwas, um zu zeigen, ob noch Schneid in ihm stecke – das wäre hochherzig und kühn!
    Sie plauderten am Uferrand eines Fjords, sie plauderten über das Leben.
    »O die Feigheit oder Unwissenheit dieser Schriftsteller von Profession! Wie schildern sie das Leben! Du mein Gott, sie verschweigen Alles! – Ich für mein Theil, ich habe keinen Knaben und kein Mädchen gewissen Alters gekannt, die nicht von Grund aus verdorben gewesen wären.«
    »Ja, verdorben, nicht wahr?« Kathi gerieth ordentlich in triumphirenden Eifer. »Bei uns auf'm Land liegen schon die Kinder zusammen. Ach, i weiß noch, wenn ich in den Kuhstall ging, um zu melken, was für gemeine Redensarten unser Großknecht da führte. Die Welt ist heut so schlecht!«
    »Ja gewiß. Na, Du mußt Dich gut ausgenommen haben, als Du melktest!« Eugen umfaßte sie funkelnden Auges – die Ganglien seiner genialischen Phantasie schienen irgendwie durch diese Vorstellung erregt. Ihr Gesicht glänzte von sinnlichem Lächeln, ihre Hüften schienen gleichsam in sanfter Wallung zu beben und sie warf den Kopf hoch in den Nacken.
    »Ach ja,« hob er wieder an, »die deutsche Keuschheit! Davon ließe sich ein Liedel singen. Man möchte eine Extraruthe vom Himmel erflehen, wenn man von all den norddeutschen Tugenden deklamiren hört. Und bei uns in Berlin diese frühreife ekelhafte erkünstelte Treibhausunzucht. Die untern Stände sind ja noch lüderlicher, denn im Naturmenschen kommt das Thier doch am stärksten 'raus. Aber wir von der Bourgeosie, den sogenannten gebildeten Ständen – o wir!«
    »Ja, nit wahr?« fragte Kathi eifrig. »Die seinen Damen sind auch nichts besser, als die schlechten Mädchen unter unsereins? Wenn so eine einen dicken Bauch bekommt, so reist sie ins Bad. Ja, dös is bequem!«
    Eugen schüttelte mißlaunig den Kopf. »Nein, nein, das sind so Chimären, die Ihr Euch vormacht. Solche wirklichen Skandäler kommen höchst selten vor. Das Uebel liegt viel tiefer.«
    »Na, wo denn?«
    »Sieh einmal, liebes Kind, die jungen Französinnen werden in Klöstern erzogen und dann gleich
nolens volens
verheirathet. Man wirst sie ins Bett eines Unbekannten, der sie entehrt. Da sind unsre Mädchen besser daran. Sie kommen von der Schule in Pensionate, wo sie sich untereinander den Kopf erhitzen und – und –« er brach den Satz ab, dachte aber an Belots
»Madamoiselle Giraud ma femme.«
    »Ja, kurzum, an Unschuld glaub ich zwar nicht, wohl aber an Unwissenheit, welche diejenigen bewahren, die fein sauber bürgerlich in der Familie bei Muttern bleiben. Und die Unwissenheit haben bei uns die Kinder schon mit zwölf Jahren nicht mehr. Denen braucht man keine Unschuld mehr zu rauben, sie besorgen sich diese Arbeit schon selber.«
    »Pfu-i!« Kathi spie aus mit sittlicher Emphase.
    »Jaja, das Kap Garda fui !« kindischte Eugen wie ein witziger Tertianer. »Da wird man null gefüttert mit Fleisch und Bier; und dazu das ewige Sitzen auf der Schulbank, das auf den Unterleib wirkt; und dazu die Lectüre der alten Dichter – Ovids
ars amandi
wo möglich – ah, dabei soll ein Mensch voll vierzehn Jahren nicht erotisch werden! Wahnsinnige Unnatur! Die Mädchen heirathen, wenn überhaupt, schon viel zu spät; die Männer heutzutage eigentlich immer. Was treiben sie vom fünfzehnten bis dreißigsten Jahr, um mal eine Grenze anzunehmen, in solchen Dingen? Ach, jeder, der die Welt kennt, kann sich's ja denken. Impotenz, Rückenmarksschwindsucht oder die Charité – der kann Gott danken, wer zwischen Scylla und Charybdis heil durchschlüpft.«
    »Ach ja, die Männer!« Kathi nickte mißmuthig, als fände sie diese Gefahren noch gar nicht so arg, vielmehr beneidenswerther, als das weibliche Loos. »Die können machen, was sie wollen.«
    »So, können sie das?« blitzte Eugen sie an; so hatte sie ihn noch nie gesehn. »Nun, das wollen wir sehn. Ja,

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