Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Revolution und fast vierhundert nach der Reformation unerschüttert besteht. O die römische Kirche – Hut ab! Mit der wurde selbst Napoleon nicht fertig und wurde ausgenutzt, wo er auszunutzen dachte. Und überhaupt, Rom allein ist eine wahre Weltmacht und das einzig Positive in diesem allgemeinen Chaos und Krawall von staatlichem und nationalem Größenwahn .«
    Leonhart redete offenbar aus tiefster Ueberzeugung heraus. Der österreichische Katholik sah ihn verwundert an. »Das aus Ihrem Munde? Und sind doch Protestant?«
    »Ich – ich bin gar nichts, höchstens Christ nach der unverfälschten Urlehre. Aber als geschichtlich denkender Mensch urtheile ich anders. Und auch sonst ... wissen Sie wohl, wenn man dies haltlose moderne Treiben so gründlich satt hat ... ich könnte als Mönch enden !«
    Krastinik fuhr ordentlich zurück. Die Worte gruben sich unauslöschlich in sein Gedächtniß ein. Leonhart brach jedoch ab und lenkte das Gespräch auf den Herrschergeist Hegels, diesen philosophischen Tyrannen, der tausendarmig alle Gebiete an sich zog. Es klang, als fühle er in Jenem einen Wahlverwandten, wie denn Krastinik in Leonhart längst eine geistige Despotennatur erkannt hatte.
    In der Alten Jacobsstraße trennten sie sich. Leonhart wollte noch nach der Dresdener Straße.
    »Ach, da sollen Sie ja ein Verhältniß haben?« fuhr es dem Grafen heraus.
    »So? Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Ach, ich weiß nicht, – Mehrere. Alle Welt mokirt sich darüber. Sie sollen schon seit langen Jahren in Ihrem Stammlokal, einer Mädchenkneipe, da eine Wirthin anschmachten, die auch sonst Verhältnisse hat. Ich sage Ihnen das ganz offen, damit Sie sich vorsehn gegen das dumme Gerede. Was geht's mich an! Adieu, lieber Freund.«
    »Und Sie wohin?«
    »In den Verein › Drauf ‹. Sie kennen ihn ja.«
    Leonhart lachte herzlich. »Verein der ›Größenwahnsinnigen‹; wer die meisten Pseudonyme hat, wird Weltpräsident – ja, den kenn ich. Na viel Vergnügen! Ich trau' mich nicht mehr hin, weil ich über die idealen Waffenbrüder Edelmann-Haubitz, die dem Jahrhundert den ›Stempel‹ aufdrücken, einiges Vitriol ausgoß. Also adieu.«
    In der That hatten Ambrosius Sagusch und einige andere Sendboten des Himmels an Leonhart einen versteckten Drohbrief gesendet: was er mit seinen Anzüglichkeiten meine. Sie hofften nämlich, daß sie ihm correspondenzlich unvorsichtige Aeußerungen entlocken könnten, was – verbunden mit consequenter Undankbarkeit – zum System des »Jüngsten Deutschland« gehörte. Da Leonhart's Combinationsvermögen jedoch die Absicht einer Skandal-Reclame und irgend eine planvolle Tücke von Seiten jener messianischen Weihepriester witterte, so antwortete er mit boshafter Ironie: Er empfehle den geschätzten Herrn sein Benehmen als Thema psychologischer Studien, wie schwach und widerspruchsvoll die arme Menschennatur. Derselbe, der sich für seine Freunde und auch Feinde manchmal aufopfere, taste die persönliche Integrität solcher Ehrenmänner an! Man möge seine Animosität bemitleiden und sich den schönen Glauben bewahren.
    Krastinik wanderte also in den » Drauf « und wurde ehrfurchtsvoll empfangen.
    Der ambrosianische Sagusch hielt grade einen begeisterten Vortrag über Ibsen. Was dieser Norweger mit einer kritischen Würdigung der deutschen Gegenwartsliteratur eigentlich zu schaffen hatte, vermochte nur Der zu würdigen, dem es nicht unbekannt blieb, wie leicht dem deutschen Litteraten die hingebend selbstlose Anerkennung alles Fremden fällt, von welchem man ja freilich keine Concurrenz zu fürchten hat. Diese jüngstdeutschen Kritiker mit ihrem »idealen Streben« unterschieden sich von denen der Tagespresse, gegen deren Corruption sie donnerten, eigentlich gar wenig. Doch ein bedeutsamer Zusatz mußte als Fortschritt gelten. Denn ob auch erbärmlicher Neid und niedriges Cliquenwesen sie nicht minder beherrschte als Grundmotiv all ihrer kritischen, Handlungen und Grundsätze, so trat doch außerdem noch eine pedantisch-philologisch-formalistische Nörgelei hinzu, zwar unfähig je durch die äußere Schale in den Kern der Dinge zu dringen, aber dafür argusäugig für jedes Stolpern des Federkiels und unfehlbar auf dem Korpus Juris der Vischer'schen Aesthetik thronend.
    Sodann verlas Dichterling Haubitz eine schauderhafte Verreißung über die »Modernen Realisten«. Obschon er seine olympische Geringschätzung Schmoller's überall betont und von Leonhart deswegen heftige Grobheiten eingeheimst

Weitere Kostenlose Bücher