Größenwahn
das? Sr. Durchlaucht dem Fürsten Reichskanzler, dem Kenner des deutschen Bieres, sei dieser Krug geweiht! Er lebe hoch!«
Ein donnerndes Vivat. Einer zog sich bereits den Rock aus, um gemüthlicher bärenhäutern zu können: Tibitz, der antisemitische Witzbold, einer der bravsten und darum bestverleumdetsten Männer. Er erzählte soeben in seiner jovialen Art auf plattdeutsch die Mär von »Christofer Clambumbus«, dem Entdecker von Amerika. Bei solchem Salzwasser-Latein wird man halt durstig. Nachdem man dann noch darüber debattirt, daß man ein Internationales Weltblatt gründen wolle, trennte man sich mit einem schneidigen Abschiedsschoppen auf einen »frischen fröhlichen Krieg«. Der Ehrenpräses, ein ehrwürdiger
homo obscurus,
Peter v. Schnapphahnitzkoy (in engerem Freundeskreis als zartsinniger lyrischer Frauenlob, sonst als malitiöse Schlangenzunge und Anonymus a.D. geschätzt), mußte ledeir per Droschke lallend nach Hause gebracht werden – wie sich's für einen christlichritterlichen Redacteur gebührt.
Schmoller und Leonhart wankten endlich noch in einen benachbarten ur-bajuvarischen Keller. Dort stärkten sie sich mit einem Teller Radi sowie etlichen »Knickebeinen« und schwuren sich nochmals ewige Waffenbrüderschaft mit schon klein werdenden Aeugelein und bierseliger Stimme. Im Laufe der Erreignisse betheuerte Schmoller den nächstliegenden Gästen der Schänke, daß vor seinem neuen Roman, in welchem er alle seine persönlichen Feinde durchhecheln wolle, bereits halb Berlin zittere.
»Ich habe noch nischt jemerkt,« brummte der Wirth.
Darob ergrimmte Schmoller in seinem Leibe und schrie: »Was, Sie! Sie wollen mich wohl uhzen? Sie dummer Bierjunge, he? Ich bringe Sie auch in meinen Roman. Dann werden Sie das Zittern schon lernen.«
Er kam aber an den Unrechten. Denn der würdige Bierpapst hatte selbst Mehreres über den Durst getrunken. »Was, Sie fauler Kopp wollen mir das Gruseln lehren?« brüllte er. »Zittern Se draußen! Wem's hier nicht gefallen thut, der kann schieben! Sie müssen 'raus, Sie! Des is hier nich! Also, meine Herrn, der Zimmermann hat ein Loch gelassen.« Leonhart fürchtete für seinen Freund. Dieser, als Sohn eines Kölnischen Weinküfers mit rheinischer Großschneuzigkeit behaftet, verdiente zwar an sich nicht den Geruch bramarbasirender Feigheit, in dem er stand. Aber seine zerrütteten Nerven schraken leicht zurück.
»Herr, sehen Sie, wie ich bebe vor Erregung!« grollte Schmoller, indem er seinen Cylinder aufsetzte. »Schweigen Sie, sag ich Ihnen, oder ich haue.«
»Was!!!« Der Wirth holte kräftig aus und schwippschwapp saß eine Ohrfeige. »Bange machen gilt nich. Da haben Sie, was Sie verdienen, und nun schreiben Sie man darüber ein Kapitel in Ihren ollen Roman.«
Es entstand natürlich ein allgemeiner »Radau« und die beiden großen Männer wurden langsam hinausgedrängelt. Leonhart faßte den Wirth am Kragen und rüttelte ihn gehörig. Schmoller aber knöpfte sich den dicken Havelok zu, sah käsebleich aus und meinte sodann mit einem süßlichen Lächeln: »Es traf ja nur den Hut! – Wenn ich wollte – sehn Sie diese Arme! Ich war Schmied! Komm, Leonhart, verachten wir die Bande!« Beide schüttelten den Staub von ihren Füßen und wurden mit einem wohlgemeinten Schubs endgültig hinausgeworfen. Leonhart schritt sehr schweigsam fürbaß, während Schmoller eifrig weiter perorirte.
»Haha!« lachte er auf, »hast Du gesehn, Leon, wie ich den Kerl an der Brust faßte und hin- und herrüttelte? Ich sage Dir, er bebte wie Espenlaub! Nun, lieber Freund, Du kennst mich ja! In mir steckt so ein Stück Elementar-Naturmensch. Ich mußte an mich halten, ich mußte! Dank' Dir auch, daß Du mich gehalten hast, – sonst wäre ein Unglück passirt!!«
Leonhart konnte keine andere Antwort, als ein verwegenes Räuspern, finden. Die Phantasie seines edlen Freundes ging wieder zügellos mit diesem durch.
»Es wird noch eine Marmortafel dort angebracht werden, wo wir Beide gesessen haben!« rief der große Autor in tiefer sittlicher Empörung. »Lebewohl, mein Freund, und verachte die Welt wie ich. Man muß Philosoph sein! Du ärgerst Dich noch zu viel.«
Tiefgekränkt schritt er von dannen, wie er tiefgekränkt jeden Morgen erwachte.
Zehntes Buch.
I.
Der große Saal des Architektenhauses füllte sich bis auf den letzten Platz, um die angekündigte Vorlesung Friedrich Leonhardts »zum Besten des Unterstützungsfonds der Berliner Presse« zu genießen.
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