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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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right!
100 Mark pro Zeile – 100 Zeilen Umfang – macht 10000 Mark – dann schreibe ich ihn, den Messerschneide-Artikel.«
    Nämlich im Sinn all der früheren Messerschneidungen, welche fast jedes Blatt wie eine Art monatlicher Excremente von sich giebt.
     
    Solche Schauderaffaire erzählte Schmoller dem staunenden Leonhart, als er mit diesem das Zeitungszimmer des Café Bauer durchstöberte, ob sie nicht Beide wieder irgendwo beschimpft worden seien. Er hatte angeblich diese Scene belauscht, als er die Redaction eines großen Blattes heimsuchte. Dann erzählte er noch, wie plötzlich ein schrecklicher Skandal dort losgebrochen sei, da die Gattin des Chefredacteurs Kössel, eine frühere Köchin, diesem grade wie gewöhnlich ihren allabendlichen Gardinenpredigt-Besuch auf der Redaction abgestattet habe. – Dieser professionelle Verfolger der Bosheit sog sich freilich solche Geschichten oft rein aus den Fingern. So galt es ihm diesmal, das bekannte Verhältniß von Börse und Presse in ein Späßchen zu bringen. Allein, es schien nicht so bös gemeint, wie es klang. Aus Klatsch, Nichtigkeit und Jämmerlichkeit setzt sich ja das unselige Leben des Berufsschriftstellers zusammen und als einzige Rache bleibt ihm die böse Zunge. Jedermanns Hand ist wider ihn drum ist seine Hand wider Jedermann . Verzweiflung lachte aus Schmoller's Verleumdungsmanie. Das Unberechenbare war hier nie das Unentschuldbare. Grade wie Leonhart fühlte er sich dämonisch zum Geifern getrieben.
    »Kratzenthal platzt noch vor Gift, wie die Ratte in ihrem Loch. Kössel sagte mir mal, man müsse die ewige Wuth Kratzenthals nur bedauern, da sie von Hämorrhoiden herrühre.«
    »Das ist keine Entschuldigung. Aber ich kann mir nicht helfen: obschon er mein Todfeind, halte ich ihn für einen Ehrenmann,« versetzte Leonhart ruhig.
    »Ehrenmann – ach Du bist doch immer der Alte!« knurrte Schmoller. »Wie hat der Mensch sich immer ruppig gegen Dich benommen!«
    »Das tangirt aber nicht seine sonstige Ehrenhaftigkeit. Denn daß er meine Recensionsexemplare andauernd todtschweigt und dem Antiquar verkloppt, diese Naivetät theilt er ja mit allen Preßbengeln. Er ist muthig und unabhängig, erinnert mich immer an einen Dachshund – bissig und brav.«
    »Ja, die Beine hat er sich krumm gelaufen wie ein Teckel – das stimmt. Übrigens sind sie alle
toute même chose!
Jeder Redacteur schießt Probepfeile eingebildeter Willkühr, ob nun von liberalem oder conservativem Göttersitz! Da ist mir doch die Schwefelsäure der ›Berliner Tagesstimme‹ noch lieber, als dieser salzlose Ohnmachtgeifer!«
    »Ist er eigentlich ein getaufter Jude?«
    »Und ob! Drei Juden in eins! Darum belfert er ja auch soviel gegen jüdische Gesinnung, um seine Abkunft vom Mühlendamm zu verdecken.«
    »So 'was ist mir allerdings doppelt widerlich.« Leonhart runzelte die Stirn. »Ich kenne ungetaufte Ehrenmänner. Für getaufte grüne Judenjungen, die ihre Stammesgenossen begeifern, sollte man aber eine Extraruthe parat halten. – Doch wie gesagt, ich glaube, wir beurtheilen Kratzenthal ganz falsch. Grade weil er ein ewiger Krakehler ist, halte ich ihn für einen ehrlichen Kerl. Allerdings leidet er als neuer Lessing an hochgradigem Größenwahn.« Wer litte zwar nicht daran! dachte er heimlich. – Darin freilich kamen Beide überein, daß die conservative Presse der fortschrittlichen ganz würdig sei, »daß sie alle Beide stinken.« Unpartheilichkeit? wie haißt?!
    »Sieh da, Federigo, Du hier?« tönte eine Stimme neben ihm.
    »Ei, Holbach, und was treibst Du hier?«
    »Komm doch an unsern Tisch – Kasimir Pakosch ist hier!« Holbach lud mit seiner üblichen gewinnenden Liebenswürdigkeit ein, so daß Schmoller und Leonhart bald einem bleichen Herrn mit genialisch zerwühltem Haarwuchs gegenübersaßen. Er trug einen schwarzen Sammetrock und einen weißen Hut mit Schleier, sowie Hosen von weißem Kaschmir. Außerdem lehnte er sich auf einen schwarzen Stock mit breitem Silberknopf, dem das Lasalle'sche Motto eingravirt:
»J'attendrai mon temps.«
Er bedurfte dieser Stütze seines jungen Greisenalters, da er hinkte. Ueber dies Hinken verbreitete er zwar, er sei bei Mars la Tour verwundet; Böswillige schrieben es jedoch ganz andern Ursachen zu.
    Dies war der berühmte Kasimir Pakosch, der Regenerator der deutschen Zukunftsbühne. Leonhart kannte ihn bis ins Mark seiner Herzensschöne von dem Tage her, wo er sich ihm gemeldet, um die Hauptrolle seines Festspiels »Sedan« zu

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