Größenwahn
nichts gegen die schlichte Logik der Vernunft verfangen und der Krieg, seines idealen Schimmers entkleidet, als ein trauriges, wenn auch momentan nothwendiges Antikultur-Uebel erscheint, so fällt natürlich eine übertrieben hohe Auffassung des Soldatenstandes in Nichts zusammen. Es soll keinen Augenblick bestritten werden, daß der Krieg die edelsten Gefühle der Menschenseele ausbilden kann, natürlich ebenso die allerniedrigsten. Traurig genug, daß gutmüthige und in gerechter Sache kämpfende Soldaten sich in der Erregung den tollsten Exzessen hingeben können. Das Alles aber gilt für den Krieg nur wie für jedes andere außergewöhnliche Ereigniß, das mit Gefahr verbunden ist. Was aber – fragen wir hier wieder – hat der Krieg mit der Ueberhebung des Offizierstandes zu thun?! Denn nur darum handelt sich's bei dieser Broschüre und vielen ähnlichen! Der Krieg selbst wird ja auch nur gleichsam als
pièce de résistance
im Hintergrunde weihevoll verwerthet; der wahre Zweck ist bloß der, die übertriebenen Achtungsansprüche des Offiziers in Friedenszeiten zu begründen.
Heut bei der allgemeinen Wehrpflicht ist ja selbst dieses wunderherrliche Institut der sittlichen Weltordnung, »Krieg« genannt, den priesterlichen Händen einer speziellen Kriegerkaste entwunden – wenigstens was die Gefahr , diese so wundersam sittlichende Gefahr, anbelangt: dies höchste sittliche Gut teilt der Offizier brüderlich mit jedem waffenfähigen Bürger, um für sich hernach bloß das minderwerthige schnöd materielle Gut etwaiger Dotationen und Auszeichnungen zu behalten.
Diese großartige Selbstverleugnung, diese freigebige Humanität im Theilen der Sittlichkeitsmomente des Krieges, damit selbst der Geringste derselben theilhaftig werde, muß man um so höher schätzen, als sich ja der Offizier auch ohne den »Kriegsgedanken« um die »Volkserziehung« so unendliche Verdienste erwirbt. Wenigstens ist laut unserm gelehrten Verfasser der Leutnant der wahre Erzieher des deutschen Volkes, während unsere ganze sonstige Erziehung ungenügend und schädlich wirkt. Den letzteren Theil seiner Prämissen mag ich durchaus nicht befehden. Der deutsche Schulmeister leidet eben an dem gleichen Unfehlbarkeitsdünkel wie der »militärische Erzieher« und es scheint daher nur ergötzlich, wenn der Letztere durch seine gewichtige Autorität die Feinde des bestehenden Erziehungssystems verstärkt. Diese Frage interessirt uns ja aber hier nicht, sondern nur die, welcher moralische Nutzen denn eigentlich durch die militärische Erziehung, d.h. die allgemeine Wehrpflicht, bewirkt wird. Es ist mindestens zweifelhaft, ob die dreijährige (in Frankreich noch längere) Entziehung der besten physischen Kräfte aus dem eigentlichen produktiven Kampf ums Dasein nationalökonomisch günstig zu nennen sei. Es ist zweifelhaft, ob wirklich eine Kräftigung der physischen Gesundheit durch das »Dienen« erzeugt wird, die im Verhältniß zu dem enormen Zeit- und Müheaufwand steht. Vermuthlich würden Arbeiten in frischer Luft oder Reisen oder Sport in einem Viertel der Zeit hier wohlthätiger wirken, da die tausend ungesunden Nebendinge des Kasernenlebens, sowie die Ueberanstrengung und die fortwährende Unruhe oder gar Angst sehr störende Beigaben des Soldatenlebens scheinen. Turn-, Fecht- und Schießklubs dürfen Gewandtheit und Handhabung der Waffen vielleicht leichter lehren, als die Hudelung des Unteroffiziers es bewerkstelligen kann.
Doch halt, alle Unannehmlichkeiten des Soldatenleben sollen ja eben den Charakter stählen. Den Charakter! Kann man von Charakter überhaupt noch reden, wo die Grundlage jeder Charakterfestigung, nämlich freier Entschluß und eigene Initiative, von vornherein ausgeschlossen sind? Der »Dienst« soll die große Tugend des Gehorsams einpflanzen. Nun unterschätze ich diese Tugend nicht. Alle Vereinigungen, heißen sie nun Staat, Heer, Privatverein, können sich nur halten durch Gehorsam gegen das Höhere, den allgemeinen Zweck. Dieser Gehorsam aber ist das legitime Kind des freien Willens, der freien Erkenntniß, während der vom Militär geforderte Gehorsam der des Sklaven ist. Würde dieser Gehorsam wirklich als unauslöschliche Tugend durch die allgemeine Wehrpflicht eingeimpft, so könnte dies nur widerliche und traurige Folgen haben. Ein solcher Gehorsam fügt sich in keiner Hinsicht dem modernen Bürgerleben ein; er wird dort nicht verlangt und wäre nur vom Uebel. Nur im sogenannten »Staatsdienst« kann er
Weitere Kostenlose Bücher