Größenwahn
und Würde. »Aus Klugen macht Thoren die mächtige Liebe« heißt es schon in der älteren Edda.
Nichts ist erbarmungswilliger, als einen edeln und ritterlichen Mann, der sich danach eine Eva zum Fall verlocken ließ, hinterher aus der Taumel zur Nüchternheit erwachen zu sehn. »Und er erkannte, daß er nackt war.« Die Wuth gegen den früher begehrten oder besessenen Gegenstand gährt dann derartig, daß sich der Groll sogar in indiscreter Rohheit Luft macht. Man rächt seine eigne Verblendung und stachelnde Reue an dem früheren Idol, das doch im Grunde stets denselben Werth oder Unwerth besaß.
Nur in uns selbst liegt die Schönheit und das Begehrenswerthe der Begierde. Die Seele will aus sich selbst heraus und fiebert einer Afterschöpfung, einem schöneren Etwas, entgegen, das in Wahrheit gar nirgends existirt als im Hirn des Liebenden. – Wo liegt Anfang und Ende einer starken Leidenschaft, wenn sie plötzlich über Nacht aus äußeren Anlässen erlöschen kann! Man begreift vollkommen, wie diese oder jene Leidenschaft entstehen, wachsen, sich ausrasen konnte. Man begreift sogar alle Thorheiten und Narrheiten, zu denen sie veranlaßte; man würde vielleicht in ähnlichem Falle ebenso handeln. Wie aber ist es möglich, daß eine allesverschlingende wahnsinnige Liebe plötzlich, in sich selbst verzehrt, erlöschen kann – auch ohne daß sie volle Befriedigung gefunden? Schwache Naturen allerdings mögen in einer Art temporären Irrsinns daran zu Grunde gehn. Starke hingegen, und wenn sie bis zur äußersten Grenze gegangen, können plötzlich sich ein Ziel setzen, ohne sonderliche Willensanstrengung. Die Begierde erlischt einfach, auch ohne Sättigung, auch ohne zwingende Umstände – falls sie störend in den sonstigen Lebenszweck eingreift. Auch dann, wenn der Minnekranke fest entschlossen war, sein Ich dem Du zu opfern. »Alles hat seine Zeit,« sagt der Prediger. Aber die Fluth und Ebbe des Gefühls hat, so natürlich sie scheint, doch etwas Räthselhaftes. Bah, kommt mir nicht mit pathetischen Phrasen – es giebt keine Liebe, sei sie die reinste und selbstaufopferndste, die ein gewisses Stadium überdauert. Oder sie ist bereits eine ernstliche Affection des Gehirns.
Ich habe einen lieben Freund. Ich warnte diesen vor einer gewissen anrüchigen Dame. Er nahm sehr ernstlich ihre Partei und schimpfte über die Klatschsucht der Welt. Hinterher erfuhr ich aus unumstößlichen logischen Thatsachen, daß er – er ist sehr verheirathet – mit dieser gefälligen Dame ein flüchtiges sinnliches Verhältniß gehabt. Neulich setzte er sich hin und unterhielt mich wiederum von der Tugend einer anderen Dame, zu welcher die ganze Welt, weil er's ein wenig öffentlich trieb, ihm nahe Beziehungen unterschob. Er erzählte mir ganz unmögliche Tugendhaftigkeiten, wie sie in Romanen der »Gartenlaube« vorkommen könnten, – alles mit dem Bestreben, das gewisse Weib in meinen Augen zu heben und dadurch die Existenz einer intimen platonischen Freundschaft mit derselben plausibel zu machen. Wie ein stummes Bild des Glaubens faltete ich andachtsvoll die Hände. Aber es imponirte mir doch. Das heißt gehandelt wie ein Kavalier.
III.
»Wissen Sie was, schreiben Sie uns einen Messerschneide-Artikel! Etwas gegen Boulanger, wissen Sie.«
»Weswegen?«
»Was für eine Frage! Es liegt im Interesse des Blatts.«
»Möglich. Aber ob in meinem Interesse?«
»Herr Doctor, ich bin erstaunt..«
»Und ich erst! Gott, seien wir doch keine Kinder! Die Hauptsache dabei (ich will ja den Artikel gern schreiben) ist die: Was – nützt – es mir?«
»Aber das hätte ich nie von Ihnen gedacht! So wenig Eifer! Natürlich werden wir Ihnen den Artikel sehr hoch berechnen.«
»50 Pfennig pro Zeile?« höhnte Kratzenthal. »Nein, alter Freund. Da fällt mir ein: Warum schreiben Sie denn den Artikel nicht?«
»Ach!« Kössel kratzte sich hinter den Ohren. »Das ist eine sehr sehr prekäre wichtige Affaire. Das kann nur eine ganz gewiegte Feder – wie die Ihre, Herr Doctor Kratzenthal.«
»Ach zu gute« schnaufte dieser durch die Nase. »Sie wiegen mein gewiegte Feder in sanfte Illusionen«. Mit einem Wort, er sprang plötzlich auf, »Sie selbst fürchten sich den Artikel zu verbrechen und wollen einen stillen Compagnon dazu. Ich wittere Unrath. Holla, der Bankier Hollmann!« Kratzenthal brach in ein wieherndes Gelächter aus, schlug seinem Chef auf die Schulter und grinste: »Spekulirt auf Baisse! –
All
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