Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
goldene Worte und Erfahrung bestätigt sie.
    Die preußische Armee von 1806 besaß ein treffliches Offizierkorps in den subalternen Chargen und eine wohlgedrillte Armee, die mit ihrer veralteten Lineartaktik so lange wacker schlug, bis die elende Oberleitung jeden Widerstand gegen den besser geführten Feind unnütz machte. Hätte sie aber jene innere Einsicht, jenes feste dauernde Band des bewußten Zusammenwirkens besessen, so wäre von einer so beispiellosen Auflösung des gesammten Heergefüges keine Rede gewesen.
    Im Befreiungskriege aber leistete nachher die preußische Armee Unerhörtes, trotzdem sie zum größten Theil aus Landwehren und das Offizierkorps der Linie wesentlich aus denselben Elementen bestand, die früher bei Jena so schlecht bestanden hatten. Die französischen Truppen mit ihren Veteranenoffizieren waren technisch überlegen. Aber diesmal war die preußische Oberleitung eine glänzende, und das innige moralische Zusammenwirken der Gemeinen und Offiziere ergab sich aus dem gleichmäßig alle durchlohenden Patriotismus.
    Es ist also immer der moralische Faktor, die Idee, die siegt – falls sie nur einigermaßen praktisch unterstützt wird. Wie aber soll in gewöhnlichen Zeitläuften durch Militärerziehung dies moralische Element erzielt werden, da weder Offiziere noch Unteroffiziere darauf ausgehen, sich die Liebe ihrer Untergebenen zu erringen?
    Nach dieser Theorie würden ja die Chancen des nächsten deutsch-französischen Krieges ungünstig für uns stehen. Denn wie 1870 die technisch ebenbürtige, besser bewaffnete Streitmacht Frankreichs zertrümmert wurde, weil man ein einmüthiges Zusammenwirken der Deutschen durch begeisterte Vaterlandsliebe erreichte – so scheinen die Franzosen diesmal diejenigen, welche ein einmüthiges bestimmtes Ziel haben, während in Deutschland kein Mensch einen ersehnbaren Wunsch und Zweck dabei im Auge hat. Aus diesem Grunde siegen ja oft schlecht bewaffnete ungeübte Haufen in Revolutionskriegen über die ältesten Truppen. Denn wer siegen will und das Leben für nichts achtet, der muß siegen. Diesen Geist kann aber wahrlich keine Erziehung und am wenigsten die militärische, wie sie bei uns getrieben wird, erzeugen!
    Wir haben aber oben noch einen andern Punkt berührt, wir sprachen von der Oberleitung . Und da ergiebt sich denn für den Kundigen wiederum die Lächerlichkeit des Offiziersdünkels an sich. Denn nicht die Tüchtigkeit des Offizierskorps entscheidet im Kriege, sondern lediglich die geistige Beschaffenheit des Oberkommandos . Mit schlechten Truppen und Offizieren siegt ein guter Feldherr über gute Truppen und Offiziere unter einem schlechten Feldherrn. Das ist beinahe selbstverständlich.
    In Anerkennung dieser Thatsache gehen die heutigen Offiziere sogar so weit, daß sie schon die bloße Energie ohne Talent im Oberbefehl für genügend achten, mit schlechten Truppen Gewaltiges zu leisten. Sie verehren Gambetta, dessen Organisationstalent einfach auf rücksichtslos durchgreifende Brutalität sich beschränkt. Goltz und York erklären geradezu, Gambetta habe in seiner Art wenigstens die Hälfte eines großen Feldherrn repräsentirt – Gambetta, der prahlende Charlatan, der schwatzhafte Advokat, dem notorisch selbst die Anfangsgründe militärischen Wissens fehlten, der nicht mal ein Dilettant, sondern ein einfacher Laie genannt werden muß! So leicht ist es nach Ansicht von Fachmilitärs, ein genügend großer Heerführer eines großen Volkes zu werden, falls man nur überhaupt über das Durchschnittsmaß der Intellekte hinwegragt! Wie viele Gambettas unter Parlamentarien verborgen schlummern, die nur der Zufall nicht begünstigt – wer weiß es!
    Wirklich meint ja auch Carlyle, daß im Grunde alles wahre Genie eins und untheilbar sei, daß Shakespeare der größte Staatsmann, Burns der größte Redner und Reformer u.s.w. geworden wären. Und jedenfalls steht fest, daß die wenigen großen Feldherrn, welche uns die Geschichte zeigt – Cäsar, Napoleon, Cromwell, Friedrich der Große, – nicht durch Selbstbestimmung, sondern durch die Gewalt der Umstände Feldherrn wurden und in allen möglichen andern Gebieten sich zugleich versuchten, wie denn nach Napoleons und Friedrichs Vorgange auch unser Moltke stark litterarische Neigungen aufweist. Alle großen Feldherrn, ohne jede Ausnahme, wurden große Feldherrn, weil sie überhaupt große Männer waren, und jeder bildete sich selbst ohne alle Schule durch eigene Denkthätigkeit und Initiative

Weitere Kostenlose Bücher