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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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anfechten! Spielt ihr nur fort – aber wie? Die allgemeine Dienstpflicht ist es, d.h. das Vaterland und Volk ist es, mit dem ihr zu spielen wagt? »Patriotische Pflichterfüllung« nennt ihr es, wenn dem Vaterlande der ungeheuerste Verlust in national-ökonomischer Hinsicht dadurch erwächst, daß man die besten Kräfte in der schönsten Zeit für Parade-Exercitien vergeudet?
    So kauft euch eine Söldner-Armee. Dies aber erinnert an den hessischen Menschenverkauf. Denn nur mit dem, den man gekauft hat, darf man wie mit einem Heloten wirthschaften – freilich thut's im bürgerlichen Leben kein anständiger Mensch.
    Die fortwährend zunehmenden Unteroffizier-Prozesse, welche die monstruösesten Details enthüllen, die Selbstmord-Epidemie unter den Gemeinen, weil sie »die ewige Angst und grausame Behandlung nicht mehr ertragen könnten«, haben denn doch in letzter Zeit nicht nur in gebildeten Kreisen und in der Presse einen Sturm der Entrüstung entfesselt, sondern sogar in Offizierkreisen haben sich die ernstesten Bedenken geäußert, ob dieser Eckpfeiler des Preußenthums, der Unteroffizier , noch länger als eine solche Bestie zu dulden sei. Man hat sogar aus den Garde-Dragonern zwei Wachtmeister, welche es bis 2000 Thaler pro Jahr an Bestechungen brachten (dort dienen nur die reichsten Freiwilligen), endlich ausgestoßen. Aber der dreijährige Missethäter an Leib und Seele des armen Rekruten wird noch lange seinen Unfug treiben und, das leicht erlernbare Pensum eines halben Jahres endlos durch tausend Mätzchen hindehnend, den ohnehin beschränkten Bauern das Lernen redlich erschweren. Bei dem intelligenten Freiwilligen wirkt er freilich nicht direkt verderblich, weil derselbe das Pensum ohnehin in ein paar Wochen übersieht. »Der Rest« seiner Dienstzeit »ist Schweigen« – und zwar in wörtlicher Beziehung, nämlich »Maulhalten« vor'm Vorgesetzten. Außerdem ganz nutzlose Strapazen erdulden, wohl auch vier Wochen im Lazareth liegen, und zahllose Brutalitäten hinnehmen. Das ist die Ueberfracht von elf Monaten, außer dem einen , der ihn im Kriegsfall als durchgebildeten Soldaten vor den Feind gebracht hätte.
    Mit einem Worte, der wahre Nutzen der dreijährigen Dienstpflicht besteht in der Ausbildung der Dulderfähigkeit des Menschen. Wer das überstanden, kann Alles überstehn. Der Soldat hat gelernt, wie schwer und sauer das menschliche Leben gemacht werden kann. Das ist schon ein großer Vorzug vom ethischen Standpunkt aus. Und unsere Moralisten des »kategorischen Imperativs« lobpreisen diesen erhabenen Zweck hinter'm warmen Ofen mit sinnigem Behagen.
    Aber seltsam! Der heimkehrende Reservist, der drei kostbare Jahre seines Lebens dem Erlernen dieser spartanischen Moral geopfert hat, zeigt sich in der nächsten Zeit nach seiner Entlassung nicht pflichteifriger, sondern weit arbeitsunlustiger wie früher: Er hat für die Gewerbe des bürgerlichen Lebens, also für seinen Beruf und Unterhalt den Geschmack verloren . Sogar bei den Einjährigen zeigt sich nach übereinstimmenden Aussagen nach ihrem Zurücktritt ins Civil zuerst eine unüberwindliche Arbeitsscheu und Hang zum Bummeln. Ganz auffallend aber ist die durchgängige Verrohung der Sitten, Gewaltthätigkeit und Brutalität in Wort und That, bei dem sonst ruhigen Charakter des Deutschen, welche nach jedem Krieg in der Masse, nach jedem Erfüllen der Dienstpflicht bei den Reservisten hervortrit. Begreiflich! In welcher moralischen Sphäre hat der Soldat sich so lange bewegt! Rechtes Arbeiten, d.h. geistiges oder handwerkliches, hat er total verlernt. Dafür ist er gewöhnt, auf lauter Aeußerliches zu achten, und empfindliches Ehrgefühl als gar nicht vorhanden anzusehen, da die pöbelhafte Rohheit in Worten und Thaten seine tägliche Umgangs-Nahrung war. Während der Krieg selbst die männlichsten und hehrsten Gefühle und zugleich alles Bestialische der Menschennatur erweckt, impft der Soldatendienst im Frieden der Seele nur die schändlichsten Empfindungen und Gesinnungen ein: Knechtssinn, mit all seinen Abzweigungen (allerdings eine würdige Vorbereitung für manche amtliche Abstumpfung des Ehrgefühls), Gleichgültigkeit gegen das physische und moralische Kränken des Nebenmenschen, allgemeine Brutalität der Gesinnung. – Verzeihe man diese erneute Betonung des schon früher Gesagten!
    Der Vertreter dieser herrlichen Schule echtdeutscher Gesinnung ist eben der Unteroffizier , dieser erlauchte Zuchtmeister und Erzieher von Gottes Gnaden –

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