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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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sich mit den Händen in der Luft. »Ich keine Lebenserfahrung!« Seine Stimme schnappte fast ins Weinerliche über. »Und das sagt mir ein Mensch, von dem noch neulich Ottokar v. Feichseler schrieb: ›Ihm fehlt noch tiefere Lebenskenntniß.‹ O, o!«
    Leonhart lachte herzlich und trank sein Seidel leer, indem er sich erhob und den Hut aufsetzte. »Die Lebenskenntniß des guten Kahlkopfs Feichseler! Nun, Haare genug hat er ja gelassen, als er da unten in München als Hofmeister einiger reicher Fabrikantensöhne auf deren Kosten ein Rouéleben führte, wie Du mir erzähltest. Sie haben Dir's ja selbst erzählt und über Feichseler's schnöden Undank geklagt, wie? Nun, seltsamerweise klagt aber Feichseler wieder über Deinen schnöden Undank und erklärt Dich für ein moralisches Scheusal.«
    »Das mir! Einem Ehrenmann, der für eine alte Großmutter sich das Fleisch von den Knochen schindet! Gleich morgen schreibe ich Feichseler einen Brief, den er nicht hinter den Spiegel steckt.«
    »Ach laß das! Deine gräßlichen Schmäh- und Drohbriefe kennt man ja. Gott sei Dank kannst Du mich nicht denunciren, wie vormals den Luckner, mit dem Du Brüderschaft trankest und gleich am andern Tage an Feichseler petztest, was Luckner unbedachterweise wegen Honorar-Unterschlagung Feichselers Dir anvertraut. Ich persönlich kenne Feichseler gar nicht und er mich noch weniger – es sei denn durch Geschwätz collegialer Kneip-Bekannten gleich Dir, die ich sorgfältigst von meinen Privatverhältnissen fernhielt.«
    »Aha!« knirschte Schmoller. »Das habe ich ja stets gewußt. Eine schöne Freundschaft!«
    »Mein Lieber, das ist nun nicht zu ändern. Ich kenne eben die Welt. Mit Collegen verkehre ich nur auf zehn Schritt Distance. Willst Du mir aber mit dieser Thatsache zusammenreimen, daß Du und Deinesgleichen über mich schwatzen, als hättet ihr sozusagen an einer Nabelschnur mit mir gelutscht? Wie darfst Du Dich erfrechen, über meine Welt- und Lebenserfahrung zu urtheilen, als wäre ich ein kleines Kind? Hast Du denn auch nur eine entfernte Ahnung von den Erlebnissen meiner Vergangenheit? Wärest Du nicht selbst ein unreifer Schreihals – ja, zucke nur! –, den sein Größenwahn verblendet, so müßtest Du logisch folgern, daß ein Mensch, der halb Europa kennt und überall in tausend höhere Lebenskreise schaute, von denen Du nicht mal eine Vorstellung hast, wohl eine Fülle von Selbsterlebtheit aufspeicherte, wie wenige Andre.
    Aber es ist die alte Geschichte. Wer wirklich viel erlebt hat, der schweigt, weil die Masse der Erinnerungen ihn erdrückt und er gar nicht wünscht, über seine vielen Erfahrungen sich auszuschwatzen. Am meisten mit ihrer Lebensweisheit prahlen Kerls, die sich im äußerlichen praktischen Leben herumtreiben, weil sie als Geschäftsmann mit allen Sorten von Handels- und Schwindelsbeflissenen zusammenkamen oder, wie in plebejischen Kaufmanns- und Jüdenkreisen üblich, den Champagner-Weltmann spielen; oder weil sie die Arbeiterverhältnisse und alle Spelunken kennen. Dadurch, daß man an der Börse spielt oder an einer Dampfwalze dreht, wird man noch kein vereidigter Lebenskenner! Frißt solche alberne Anschauung weiter um sich, so wird man nächstens die Lokalreporter als realistische Meistersinger preisen! Auch ein Größenwahn , diese angebliche Welterfahrung in beschränktem Zirkel! – – Doch genug. Die Beleidigung, welche ich Dir ins Gesicht schleuderte, ziehe ich hiermit in aller Form zurück, indem ich meine subjektiv einseitige Darstellung widerrufe. Denn wer kennt die Motive und Verhältnisse des Andern genau !«
    »Schreck, laß nach! Der ist nicht von schlechten Eltern.« Schmoller trommelte mit den feisten Fingern auf dem Tisch. »Sonst hätt' ich Dich auch wegen Ehrverletzung gerichtlich belangt!« Er pfiff die Melodie:
     
    »Du bist verrückt, mein Kind.«
     
    ... Auf dem Heimwege traf Leonhart, der halb Berlin kannte, ein originelles Pärchen. Der große Verleger und Börsenspekulant, Hauptmann der Landwehr
Dr.
Sternbaum, kam soeben von einer offiziellen Feierlichkeit, von oben bis unten mit Orden bedeckt. Mit sich schleifte er seinen Adjutanten, den famosen Lokalreporter Reichsfreiherrn von Dattrich, welcher das opulente Festessen als gastronomischer Kenner beschreiben sollte. Er erhielt dafür stets von dem betreffenden Traiteur mehrere Kisten Kaviar und Trüffelpasteten ins Haus geschickt, wie denn seine stilvolle Zimmereinrichtung mit Gobelins, Smyrnaer Teppichen und

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