Größenwahn
geschnitzten Möbeln ihm auf ähnliche Weise von der dankbaren Mitwelt gestiftet wurde.
»Da ist ja mein alter Freund Leonhart!« brüllte Dattrich.
»Comment vous-portez-vous?«
»Mäßig, es macht sich.«
»Lächerbar! Alle Tage wird dieser Mensch berühmter. Wieder ein Dutzend Bücher ausgespieen? An jedem Finger ein Federhalter festgebunden! Sehen bleich aus, junger Mann. Wohl zu viel geschwiemelt. Jaja, in Ihrem Alter legt man den Hauptwerth auf gut Lieben, in dem meinen auf gut Essen und nachher hier im Alter meines verehrten Prinzipals bloß noch auf gut Verdauen.«
»Ach bleiben Sie bei sich, Herr Baron!« schnarrte der Landwehrhauptmann. Er hatte heut wieder mal zum 101. Mal seinen Trinkspruch auf »Unsern allergnädigsten Kaiser, König und Herrn« gestiftet und strahlte noch vom Gefühl seiner Wichtigkeit. »Wäre auch gut, wenn Sie sich selbst lieber den Fleiß Herrn Leonharts zum Muster nähmen. Gestern wieder gar nicht auf der Redaction gewesen, wie zu meinem Mißfallen vernahm.« Die beiden Herren hatten sich offenbar schon gezankt und Dattrich torkelte hin und her, angetrunken. So beugte er sich denn in diesem indiscreten Zustande zum Ohr seines Prinzipals nieder und flüsterte feierlich drei Worte bedeutungsschwer: ›Ruhig, Alter! Zuchthaus!!‹ – Das frechbrutale Gesicht des Börsenspekulanten und Verlegers verzerrte sich zu einem verlegenen Grinsen und er schielte Leonhart an, ob Der vielleicht gehört habe. Dann lenkte er ein. »So so, liebster Baron, Sie waren leidend. Jaja, schonen Sie sich!«
»Zu Befehl, Herr Hauptmann! Adieu, Dichterfürst!« – Die wandelnden Thermometersäulen (beide hatten allzuviel Quecksilber im Leibe) schwankten dahin.
Elftes Buch.
I.
Leonhart starrte auf die Zeitung. Ja, dort stand es wirklich:
»Am nächsten Sonnabend wird nun endgültig im › Deutschen Theater ‹ in Scene gehn › Die Meeresbraut ‹, Drama in fünf Akten von Xaver Graf Krastinik . – Die Ausstattung wird alle Welt überraschen. Die Pracht der venetianischen Kostüme und Dekorationen übertrifft noch die Leistungen der Meininger in Byrons ›Marino Falieri‹. Herr Friedmann spielt die prachtvolle Rolle des Admirals Moncenigo, Frl. Geßner die der Katharina Kornaro. Herr Kainz wird den König von Cypern, Herr Sommersdorf die ergreifende Gestalt des jungen jüdischen Rabbiners Ben Israel verkörpern. – Eingeweihte behaupten, daß eine neue Epoche des Dramas mit diesem Abend anbrechen werde. Der große realistische Stil des Geschichtsdramas, den der junge Goethe und der junge Schiller suchten, ist hier gefunden, wie unsre Gewährsleute versichern. Auch sollen sich Scenen von gradezu überwältigender Schönheit in diesem Erstlingswerk eines großen Dramatikers finden. – Nun, das läßt sich ja an, als ob unserem Berliner Shakespeare Herrn v. Alvers, der mehr und mehr für das naive Volkstheater der Vorstädte zu arbeiten scheint, ein gefährlicher Rivale erstanden wäre, der im Voraus gesiegt hat. Der gräfliche Dichter, welcher schon durch seine herrlichen Gedichte so sehr in Mode kam, dürfte demnach einem großen Triumphe entgegengehn.«
Leonhart warf das Zeitungsblatt auf den Boden und sich der Länge nach aufs Sopha. Ein krampfhaftes Lachen schüttelte sein Zwerchfell. Er lachte sich einmal gründlich aus über die Posse des Lebens.
So war es denn also wirklich gelungen. Nun galt es das Weitere abzuwarten.
Vor einigen Monaten hatte Leonhart einen Brief aus Venedig, der alten Residenzstadt malerischen Farbensinns, erhalten. Kein Geringerer als jener große Verschollene, der lyrische Tenorist Francis Henry Annesley, beehrte ihn von dort mit einem längeren Handschreiben. Den Anlaß dieser überraschenden Kundgebung bot die seit Kurzem erschienene Anthologie realistischer Lyrik, welche auf Annesleys Kosten von Erich von Lämmerschreyer herausgegeben wurde und zu welcher Leonhart ebenfalls Beiträge beisteuerte. Zwar hatte Francis Henry weidlich den Krämpfen neidischer Großmannssucht gegen den unangenehmen Niederdrücker Luft gemacht und über Leonhart eine Reihe anonymer Recensionen geschmiert, des Inhalts, daß dieser eigentlich kein Dichter, sondern ein »Denker« sei – ein Titel, gegen den die Dichterlinge unsrer Zeit bei ihrer schrecklichen Gedankenarmuth eine besondere Animosität nähren. Allein, da ihm Leonharts Einfluß doch unumgänglich für Förderung seiner Interessen nöthig schien, erklärte er plötzlich diesen »Volldichter« für »eine zum Höchsten
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