Größenwahn
berufene Natur«. In diesem Sinne schmetterte er ihm auch jenen überschwänglichen Brief aus Venedig, worin er vor allem bat, sein neuestes Werk: »Cypressen«, symphonischer Cyklus für Kammermusik von Gregor Waschuppsky (
Opus
22) in allen zur Verfügung stehenden Blättern anzupreisen. Sodann sprang er auf die Anthologie seines Freundes Lämmerschreyer über und bat die Beiträge des
p. p.
Haubitz und Edelmann zu vermöbeln, da diese undankbaren Zigeuner ihm angeblich schon 5000 Mark Pumpgebühren gekostet hätten. Nach diesem reizvollen Thema kam er auf Venedig zu sprechen, da er in dem Palazzo, wo Richard Wagner gestorben, wohne und den Geist des todten Meisters in sich einathme. Er versuchte dann in unbeholfener Weise Venedig zu schildern, blieb aber bei den Blumenmädchen von San Marko hängen und erprobte einige Genialitätsallüren, indem er das liebliche »
bona sera
« gefälliger Freundinnen und sich daranschließende nächtliche Gondelfahrten schilderte. Der Stil und die Handschrift verwirrten sich zusehends, unvermittelte Cynismen sprengten sich ein und der ätherische Jünger der heiligen Cäcilia verbreitete sich über gewisse Stühle in Italien. Diese seien von Marmor, aber so niedrig, daß Niemand sich darauf setzen könne. Daher die Unreinlichkeit. Dies sei die wahre Völker-Psychologie, vom Standpunkt des Verdauungsthrones aus – –
Hier brach der Brief plötzlich ab, der dem Psychiater vielleicht ein interessantes Dokument geboten hätte, und es folgten einige Zeilen von fremder Hand. Die Tante Annesley's hatte nämlich die Nachschrift darunter gesetzt: Sie sende den nicht ganz vollendeten Brief, für den bereits das beschriebene Couvert dagelegen habe, da sie aus dem Inhalt ersehe, es handle sich um wichtige künstlerische Dinge. Sie bäte den unvollkommenen Zustand des Schreibens zu entschuldigen, da ihr unglücklicher Neffe, urplötzlich wiederum von einem Nervenleiden befallen, in einer Kaltwasserheilanstalt Linderung suche u.s.w. – –
Leonhart zuckte mitleidig die Achseln. Zugleich aber fühlte er, wie diese verworrenen Andeutungen über Venedig ihm das Bild der Lagunenstadt mächtig vor Augen bannten, so daß es seine Phantasie nicht wieder loßließ. Am andern Tag verschaffte er sich Daru's Geschichte von Venedig aus der kgl. Bibliothek und vertiefte sich darin. Immer mehr wuchs und reifte in ihm der Gedanke, ein paar bronzene Charakterköpfe aus der venetianischen Staatsgeschichte herauszuschneiden.
Bald darauf war er von Xaver Krastinik bei einer merkwürdigen Beschäftigung überrascht worden. Dieser, geräuschlos eingetreten, fand seinen Freund über allerlei Karten und Mappen gebeugt, einen Zirkel und Nadeln mit farbigen Knöpfen in der Hand, ringsumher selbstgezeichnete Pläne und Tabellen mit allerlei Berechnungen.
»Zum Teufel! Was machen Sie denn da?« rief der Ex-Militair erstaunt, nachdem er einen scharfen Blick auf all diese Gegenstände geworfen.
»Ich – ich –« Leonhart suchte verlegen die Sachen zusammenzupacken, Jener hinderte ihn aber daran. Mit sachkundigem Blick griff er einen Hauptplan auf:
»Wollen Sie mir einmal erlauben? Was seh ich da! Das sind ja seltsame strategische Studien. Wie sie wissen, war ich früher ein sogenannter ›gelehrter‹ Militair. Die Sache interessirt mich und ich verstehe 'was davon.«
Leonhart verbeugte sich stumm und ging langsam auf und ab, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, in tiefem Nachdenken.
Krastinik schwieg ebenfalls lange Zeit, indem er die Pläne verglich, die Tabellen zu Rathe zog und mehrere sauber geschriebene Papiere durchlas, die schematisch geordnet und »Dispositionen« überschrieben waren. Plötzlich drehte er sich um und fragte:
»Sie waren auf keiner Kriegsschule?«
»Nein.«
»Sie treiben diese heimlichen Studien auf eigene Hand? Wer brachte Sie darauf?«
»Meiner Treu, Niemand. Es rumorte in mir seit frühster Jugend.«
»Nun, dann ist das wieder eins jener Wunder des Genies, die unerklärlich bleiben. – Warum ergriffen Sie nicht die militairische Carriere?«
»Warum verließen Sie dieselbe so früh?«
Krastinik biß sich auf die Lippen und starrte finster vor sich hin: »Wohl wahr. Sie taugen auch gar nicht zum Offizier, in keiner Weise. Würden bald wegen Insubordination entlassen oder schössen sich eine Kugel vor den Kopf. Selbst wenn die Möglichkeit vorhanden wäre, daß Sie Ihre Begabung je ausnutzen könnten, wozu doch ein Oberbefehl gehört, müßten Sie darüber alt und grau
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