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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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das allgemeine Problem einer geistigen Thätigkeit, die doch eigentlich direkt der rohen Realität zuwiderläuft.
    Es ist unwahr, daß Physisches und Psychisches sich ergänzt. Der Eine wird mit überwiegend physischer Kraft geboren, welche sich als sogenannte Lebensfrische offenbart, – weswegen die realistische englische Sprache auch kräftige Lebhaftigkeit kaltblütig »
animal spirits
« (thierische Lebensgeister) nennt. Diese Anlage überwiegt vor allem bei den Frauen. Da aber das psychische Element in Jeder menschlichen Natur liegt, so hindert es fortwährend die freie Entfaltung des Physischen. Denn ist die geistige Fähigkeit eines solchen Individuums eine geringe, so sucht es durch Fleiß und Studium sich zu Höherem aufzuschwingen, verkümmert sich aber nur den physischen Genuß, ohne geistlge Resultate zu erreichen. Und sind die geistigen Fähigkeiten nicht unbeträchtlich, so erkennt ein solches Wesen bald die Nichtigkeit, des Thierischen, kritisirt an sich herum, fühlt die gähnende Lücke seines Innern, bewundert das Höhere, ohne sich zur geistigen Arbeit aufraffen zu können, weil eben das physische Element von Natur aus zu mächtig in ihm. Dies sind all die zerrissenen, zerfahrenen und in falschem Sinne romantischen Naturen. – Der Andre wird mit überwiegend psychischem Element geboren. Ihn hindert nun das schwache physische Element entweder durch Kränklichkeit im geistigen Schaffen, oder die sich stärkende physische Natur rebellirt gegen die übermäßige Psyche, indem sie auf dem Wege der Phantasie zu Ruhmsucht, Eitelkeit, Herrschsucht und Sinnlichkeit verführt.
    Der Graf schauderte vor des Leere seines einsamen Innern.
    Wer Gram und Zorn und Haß im Herzen hat, etwas hat er dann doch hinabzuspülen. Er taucht in Lethes Fluth ein volles Blatt, ein vollgeschriebenes Blatt – o er ist zu beneiden. Doch dies Gefühl des Erfrorenseins, des Abgestorbenseins, erfüllt das ganze Herz mit Nacht und Schatten.
    Und als müsse er von der Muse einen ihrer würdigen Abschied in Versen nehmen, quälte er seine ganze Lebenserkenntniß in folgende Reim-Prosa hinein:
     
    Glück, das ist Frieden, Frieden ist Ruhe,
    Ruhe ist Größe und Freiheit nur groß.
    Denke und fühle, schaffe und thue
    Friedlos und rastlos, im Sturmesgetos.
     
    Ruhe sinkt willig in unruhvolle Seele.
    Wer Ruhe aber suchet, den quält ein innrer Dorn.
    Bewegung lenkt das All, der Einzle auch sie wähle.
    In Widerspruch und Wechsel nur quillt der Wahrheit Born.
     
    Wenn für die Gegenwart Du nicht denkst und nicht handelst,
    Dann naht der Vergangenheit dürres Gespenst.
    Oder mögliche Zukunft ins Jetzt Du schon verwandelst,
    Deren Leiden Dir sicher, deren Freuden Du nicht kennst.
     
    Du rechnest, ob nicht etwa der Wechsel oder jener
    Zu Deinen Gunsten nahn wird, doch nur das Unheil naht.
    Wer frühres Glück betrachtet, zu übersehn nicht wähn' er
    Manch unfruchtbaren Samen, manch Unkraut in der Saat.
     
    Wenn eine von der andern auch verschlungen werde,
    Doch nennen wir uns Wogen in der Brandung der Zeit.
    Statt dessen sind wir Blasen und Schaum diese Erde
    Und drunter rollt unheimlich das Meer der Ewigkeit.
     
    Er überlas das Geschriebene. Dann lächelte er verächtlich und zerriß das Papier. Er ein Dichter? Ein tieffühlender und tiefdenkender Mensch war er, aber blieb ewig Didaktiker oder Theatraliker. Was verlor die Welt an seinem Dichterthum? Das konnte höchstens dazu dienen, größere Talente in bedrückten bürgerlichen Verhältnissen durch seine gräfliche Concurrenz zu schädigen.
    Und hätte er noch geschwankt, ob er definitiv abdanken solle, dann hätte die Lectüre des Leonhartschen » Tagebuchs « ihn endgültig bestimmt, das jetzt auf seine telegraphische Bestellung umgehend eintraf, »soeben erschienen«.
     

IV.
     
    Als Motto standen auf der Titelseite aus Händel-Miltons Oratorium »Samson Agonistes« die Verse: »Laß mich mit Thränen mein Loos beklagen, Ketten zu tragen das ist mein Geschick.« Ja, wahrlich, hier tobte ein geschorener geblendeter Simson in seinen Ketten – er, der so oft mit einem Eselskinnbacken die Philister erschlug.
    Bei Lebzeiten des Dichters wäre eine Veröffentlichung dieses Tagebuchs ein unmögliches Vabanque-Spiel gewesen oder zum Staatsstreich geworden. Die unheimliche Menschenkenntniß, die hier intuitiv in allen Seelen las, ihr Schicksal mit einem Blick vor-und rückwärts erkundend, paarte sich einem unerbittlichen Zuhausesein im eignen zerwühlten Herzen. Dies schien ihm

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