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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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das Reich der Dummheit und nur das Vernünftige bleibt bestehen. Wenn der Einzelne seiner Kraft und Ueberzeugung gemäß gegen Dummheit und Unrecht eintritt, so erfüllt er eben löblich sein Menschenthum. Aber sobald er ungeberdig jammert, weil dieser Kampf erfolglos, schädigt er nur sich selber. Das Weltgesetz, der Logos, hilft sich schon selber durch und schleudert alle Metternichtigkeiten mit einem Fußtritt bei Seite. Dazu bedarf es keiner Menschen. Am weisesten also, wer sich gelassen von der Woge treiben läßt. –
    Krastinik mußte unwillkührlich lächeln, als grade zu diesen Gedanken sich eine seltsame Illustration bot. Sein Rößlein nämlich, ein schmucker Walachischer Bergklepper fand bei einem Engpaß, den man soeben passiren mußte, den von Regengüssen aufgeweichten Boden in der Paß-Mitte zu undelikat für seine vornehmen Beine und kletterte daher plötzlich ohne weiteres seitwärts über die Felsen weg. Sein überraschter Reiter ließ ihm den Willen, auf die Gefahr hin den Hals zu brechen. Doch überwand der rüstige Klepper alle Hindernisse; nur nahm er keine Rücksicht darauf, daß ein Dornstrauch seinen Reiter quer durchs Gesicht schrammte. Als sie unten angelangt, ließ der störrige Missethäter ein triumphirendes Wiehern vernehmen.
    Krastinik lachte laut auf. Jaja, so muß Jeder seinen Willen haben, jeder rücksichtslos halsbrechende Felsparthieen hinanstürmen, um nur seinen Eigendünkel zu befriedigen. Zugleich aber erkannte er jetzt, daß auch der Größenwahn nur ein naturnothwendiges Requisit unsrer ganzen Zeitrichtung, indem er das allgemeine Streben verräth, sich hervorzuthun. Vor einigen Tagen war ihm aus Berlin ein Brief nachgesandt, dessen Schreiber ihn noch dort im Zenith litterarischen Ansehens vermuthete und daher seine Vermittelung in Anspruch nahm. Ein Dreiviertelsnarr, den man frei herumlaufen ließ, ein entfernter Cousin Krastiniks in Russisch-Polen versetzte ihm Folgendes:
    »Ich, Fürst Lubartschinsky, wohne jetzt in Kowno, Festung gegen Preußen gebaute.
Cher Cousin!
Anbei mein Photographie mit all meine Orden. Mitglied bin ich von alle gelehrte Körperschaften der Welt, Correspondent mit alle gelehrte Gesellschaften.« (Dies war richtig: er correspondirte, aber einseitig. Die Photographie bot einen ungeheuerlichen Anblick: Förscht Lubartschinsky mit sämmtlichen Sternen, Kreuzen, Mitgliedszeichen, Schützenfestbändchen, Cotillonorden seines Erdenwallens und mit dem dazu gehörigen Ruhm bedeckt! Man staunte baß, wo er all diesen Flitterkram auftreiben konnte. Half nichts andres mehr, so hatte der Ruhmesdurstige die Litzen und Borten seines Dolmans vom Schneider so zuschneiden lassen, daß sie Sternen und Kreuzen ähnlich sahen. So stand er nun da wie ein Götze unter der Last seiner Ehren und grinste vertrauensselig).»
Cher Cousin! Vous voyez
auf mein Photogramm, daß ich bin wie Wenige gestempelt.« (»Stempeln« nannte Lubartschinsky alles Menschenmögliche. Wo ihm irgend Begriffe fehlten, da stellte dies Wort zur rechten Zeit sich ein.) »
Eh bien, enfin, mon ami,
das Akademie der Wissenschaften in Berlin hat noch nicht gestempelt mein distinguirtes Person. Mag ich detestiren auch Preußenvolk, von Gott verfluchtes, muß es doch stempeln mich. Nun habe gehört, daß Sie,
bien-aimé,
sind geworden ein großer Mann in Berlin.
Pour l'amour du Jesus-Christ,
lassen Sie mich flehen auf Knieen, zu bemühen sich für Ihr armes Vetter Lubartschinsky, wohnhaft in Kowno, Festung gegen Preußen gebaute. Sind Sie geworden gestempelt, so kann man auch stempeln
le prince de Lubartschinsky. Adieu, mon ami, je vous adore.
Schicke nächstens 100 Rubel für Auslagen. Stempeln, stempeln, stempeln Sie!
    P.S.
Dieser Brief sein genügend gestempelt,
n'est-
pas?
«
    ..Krastinik lachte laut auf bei der Erinnerung an diesen Ukas des unschädlich Verrückten. So wollen sie heut alle »gestempelt« sein – verrückt, aber nicht unschädlich. Wenn ihnen kein anderer Orden blüht, so wollen sie mindestens mit einem Tugendpreis »gestempelt« werden.
    ..Welche Stille ringsum auf der Haide! Es war, als läge die ganze Welt erstorben hinter ihm. Die Briefe »guter Freunde«, die jetzt auf den neugebackenen Majoratsherrn herabzuschauern begannen, tönten wie ein fernes mattes Echo bewegter Vergangenheit. Kann der Mensch sie wirklich ertragen, eine so tiefe Einsamkeit? Ruhe und Bewegung müssen wechseln, soll der Geist sein Gleichgewicht bewahren. Fern vom Contakt mit der Menge, sieht man die

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