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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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nach dem Wendepunkte hin, wo er aufhört, sich als Werkzeug zu fühlen und sich selbst zum Gotte träumt. Mag der eitle Kiesel die Größe des Montblanc nicht sehen, vergesse doch auch die Alpe nicht, daß auch sie nur das Produkt zahlloser Steingenerationen.

    Das sollte vor allem der Adel bedenken. Wenn die Genußsucht bei Sekt und Austern schlampampt, so sehnt man sich nach der fröhlichen, seligen Feudalromantik. Da genoß man das adlige Vergnügen, die »Pfeffersäcke« auf offener Straße zu »werfen«. Auch das
Jus primae noctis
entbehrte nicht des Reizes. So ärgert sich denn unser heutiger Junkertypus im Geheimen schmählich, daß er sich nicht erzgepanzert als Letzter der Barone durchs irdische Jammerthal raubrittern darf.
    Aber während dieser verkappte Größenwahn zugleich an unheilbarem Verfolgungswahn leidet, da der Adel stets seine angeblichen Rechte gefährdet glaubt, macht sich bereits eine neue Raubritterkaste breit, welche die Preß-Feder im Wappen und mit den Societären der Unsterblichkeits-Assekuranzen die magern Kühe Pharaos auf die fette Weide führt. Die gravitätische Grandezza der litterarischen Börsenjobber sieht bereits alle menschlichen Dinge nur vom Standpunkt des bedruckten Zeitungspapiers der »Oeffentlichen Meinung« (soll heißen: des Privatinteresses elender Skribenten) und entscheidet über Krieg und Frieden, als ob die Regierungen gar kein Wörtchen mehr mitzureden hätten.
    Als des Grafen logische Betrachtungen wieder bis zu diesem Punkte gediehen, erinnerte er sich plötzlich eines Briefes, den er einst von Leonhart empfing. In seinem Briefpult stöberte er denn auch wirklich die vergilbten Blätter auf.
     
    » ... Es giebt in der Gesellschaft vier große Motoren. Zwei stabile: Schwert und Geld, zwei revolutionäre: Geist und Knüppel. Unter diesen Kräften ist die äußerlich schwächste, der Geist , die innerlich stärkste. Dann folgt das Schwert , die Staatsgewalt. Dann der Knüppel , die Masse. Am schwächsten ist der scheinbar stärkste Motor, das Geld . Weder mit Geist noch mit Schwert könnte man eigentlich Krieg führen ohne Geld. Und doch führen bankerotte Staaten lustig Krieg und bankerotte Geistesstreiter ebenso. Denn das Geld bildet nur eine todte festliegende Masse und fällt blindlings den andern Kräften zur Beute, wenn sie sich darauf stürzen.
    Verbinden sich nun Geist und Schwert, wie beim demokratischen Cäsarismus, so führt dies zur Weltunterwerfung. Verbinden sich Geist und Knüppel, so führt dies zur Revolution. Jedes für sich allein unterliegt, zwei vereinte Kräfte aber siegen über die andern. 1 und 2 (Geist und Schwert) bilden absolutes Uebergewicht, aber auch 1 und 3 (Geist und Knüppel) sind naturgemäß stärker als 2 und 4.
    Die Geschichte vollzieht sich seit Anbeginn nach gleichen Gesetzen. Allein die neueste Zeit glich einem plötzlichen Sturzfall, wo der Strom all seine Kräfte zusammenstaut. Daher enthüllt sich das Weltgeheimniß klarer denn je in den Jahren 1792–1815.
    Es tritt immer eine Epoche ein, wo die Staatsgewalt und das Feudalsystem (Schwert) übermächtig drückt und so sein eignes Basisfundament zerquetscht. Dann wenden sich alle drei andern Motoren dagegen. Unter diesem gemeinsamen Druck wird zuerst die Bourgeoisie (Geld) hoch gehoben. Aera des constitutionellen Liberalismus. Das Volk der physischen Arbeit aber (Knüppel), nachdem das Schwert zerbrochen, drängt nun heimlich gegen den Geldsack an. Diesen Augenblick benutzt das intellectuelle Proletariat (Geist), sich an die Spitze der Masse zu stellen und mit Hülfe des Knüppels jetzt Schwert und Geld bei Seite zu schleudern. Wie durch geöffnete Schleusen, bricht aber bald die vom Geist entfesselte Masse vor. Durch den früheren Kampf für das Volk gegen Staat und Bourgeoisie erschöpft, wird plötzlich auch der Geist überwältigt. Anarchie überschwemmt alle Ufer der Cultur, nachdem die Revolution den Unrath weggespült. Aber der Geist ist nur zu betäuben, nie zu überwinden. Plötzlich rafft er sich auf und erblickt das zerbrochene weggeworfene Schwert. Er ergreift es, er schmiedet es neu. Zugleich richtet er den umgestürzten Geldsack wieder auf, mit Schwert und Geldsack schlägt er den Uebermuth des Knüppels nieder, bis auch dieser wieder seinem Gebot gehorcht.
    Der Geist kann nur durch sich selbst überwunden werden . Seine Schöpferphantasie verliert den Maßstab für das materielle Bleigewicht der drei andern Kräfte, die er mit sich schleppt. Die Spitze des

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