Größenwahn
Schlund,
Wo die Parzen emsig schaffen.
Kirkcaldy hat eine dünne Bevölkerung, dicke Magistrate, nur drei Gefangenzellen und etliche »unverbesserliche Trunkenbolde«. Ich genoß die Ehre, einem der letzteren in einer der besagten Zellen (bei vorübergehender Besichtigung, um Irrthümer zu vermeiden!) vorgestellt zu werden. Dies nützliche Mitglied der Gesellschaft verhieß uns mit ausgezeichneter Höflichkeit eine Empfehlung an den Hausherrn gewisser unterirdischer Regionen, mit dem er augenscheinlich auf vertrautem Fuße stand, und schnarchte in edler Unabhängigkeit fort. Der Thierwärter – ich meine der Gefängnißschließer – konnte sich hier nicht die gerührte Bemerkung versagen, wie viel comfortabler dieser Feuerwasseranbeter auf der Pritsche sich den Träumen seines fanatischen Cultus hingeben könne, statt sich auf dem Straßenpflaster herumzuwälzen.
Uebrigens zeigte sich ein Herr aus Dundee sehr entrüstet, als ich mich bei einem Abendspaziergang durch die Gassen starke Betrunkenheit zu bemerken vermaß, sintemalen es »Saturday Evening« und doch nur zwei total »Ertrunkene« (der Narr in »Was ihr wollt« ist für diesen Ausdruck verantwortlich) durch die Straßen schwammen. Andre Länder, andre Sitten! Vielleicht eine Eigenthümlichkeit schottischer Religiosität, den »heiligen Tag« durch eine Whisky-Taufe einzuweihen! So kommen sie denn sicherlich mit rothen Nasen in die Kirche und näseln Psalmen und schauen stolz herab auf die »Heiden« in der Welt da draußen. Doch ihr dreimal am Tage Beten (nach jedem Mahl kniet jeder schottische Hausherr mit seiner Familie nieder und beginnt ein halbstündiges »Prayer«!) läßt ihnen noch Zeit genug für Gastfreiheit und Bildung. Der »ruchloseste« Poet wird nicht aus der Bibliotek eines solchen Frommen ausgeschlossen; denn dieser bleibt ein gebildeter Mann, obwohl er mit dem Papst in Rom an Unfehlbarkeit wetteifert. Auch scheint seine Gastfreiheit schätzenswerther, als die hochmüthig prahlerische Freigebigkeit Englands. Schottland ist arm. Darum darf man nicht verkennen, daß die Religiosität des Schotten sich zwar auch in Formeln und Riten, aber nicht minder in echter rechter »
kindness
« gegen seinen Nächsten zeigt, die ihm ein Opfer, wie dem Engländer ein bloßer Sport. Kein anziehender Gesellschafter, der Schotte! Sehen wir einen Sprößling der Grampians, so denken wir unwillkürlich an einen grauen schottischen Regentag. Ein Fremder, den sie mit Güte überschütten, wird sich im Leben nicht wohl bei ihnen fühlen. Sie finden es nicht comfortabel, ihre Bildung zum Besten zu geben, und jammern lieber über das Wetter, natürlich ein unerschöpflicher Unterhaltungsstoff.
Geiz (Armuth!), Trunkenheit (Klima!), Pharisäismus (Kirche!) mag man hier als häufige Fehler finden, Frömmigkeit und Biedersinn als häufigere Vorzüge, tiefen Sinn für Natur, Freiheit und Poesie als allgemeines Erbgut. Wie den Griechen und Italienern der Sinn für äußere menschliche Schönheit angeboren, wie die deutsche Race mit besonderer Empfänglichkeit für Musik begabt scheint, so mag man die ganze britische Nation getrost als das Volk der Poesie bezeichnen. Diese nordischen Stämme brachten mit sich die germanische Empfänglichkeit für freie Natur, noch verstärkt durch ihr Leben als Jäger und Krieger. Abgeschlossen von der übrigen Welt durch ihre insulare Stellung, bildete sich eine beschränkte, aber achtungswerthe Vaterlandsliebe in ihnen aus. Die langen Fehden der Schotten und Angeln begeisterten sie für kriegerischen Ruhm, und die Normannen brachten ihnen den Cultus der Chevalerie. Heine wundert sich affecktirt, daß die Engländer den Shakespeare hervorbrachten. Das wirklich Wunderbare wäre, wenn irgend ein anderes Volk ihn hervorgebracht hätte, oder wenn die Schotten nicht ihren Scott und Burns besäßen. Und wie stolz sind sie auf diese Zwei! Man wundere sich noch, daß die Briten im Durchschnitt die größten Dichter erzeugten! Kunst geht erstens nach Brot und zweitens nach Ruhm d.h. bei Lebzeiten. Der Nachruhm freilich – wir Deutschen sind sehr freigebig mit diesem werthvollen Artikel. Aber da ist noch ein Unterschied zwischen der gähnenden Goethe-Pfafferei und der innigen herzlichen Liebe der Schotten für ihre Dichter. Der echte Scotchman hat drei hauptsächliche Gedanken: Kirche, Hochland und Sir Walter. Unsere Kirche, unsere Natur, unser Poet sind doch die besten!
Es scheint charakteristisch, daß sie zwei Landstriche »Sir
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