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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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die Wand geknallt, sich umgedreht und weitergeschlafen. Doch ihr
fehlte die Energie, sich gegen den gewohnten Ablauf zur Wehr zu setzen. »Noch
zwei Wochen bis zu den Sommerferien«, war ihr erster Gedanke an diesem Morgen.
Als nächstes kam ihr der gestrige Abend in den Sinn. Sie war sich nicht ganz
sicher, ob Michael Gromek sie bemerkt hatte oder nicht. Bei aller Umsichtigkeit
- Tatsache war, dass sie ihn in der Menschenmenge nicht auf Anhieb gefunden
hatte. Daraus ergab sich die Möglichkeit, dass er sie gesehen hatte, ohne dass
es ihr aufgefallen war.
    »Na, phantastisch!« murmelte sie und quälte sich mühsam aus dem
Bett. Barfuß tappte sie ins Bad, um aus verquollenen Augen einen prüfenden Blick
in den Spiegel zu werfen. Immerhin begann der blaue Fleck an ihrer Lippe
allmählich zu verblassen. Lisa drehte den Kaltwasserhahn auf.
    Mit einem zärtlichen Kuss auf die Stirn weckte sie eine Viertelstunde
später ihre Tochter. Noch halb im Schlaf kuschelte Julia sich daraufhin in ihre
Arme. Daniel hingegen bestand seit einigen Monaten darauf, nur noch per Zuruf
aus den Federn geholt zu werden. Küsse jeder Art verbat er sich mit der
Begründung, sie seien eklig. Außerdem werde schon lange keiner seiner Freunde
mehr von der Mutter geküsst.
    Während Julia und Daniel in der Küche frühstückten, begab sich
Lisa noch einmal in ihr Schlafzimmer. An diesem Morgen hatte sie das unbestimmte
Gefühl, sich bewaffnen zu müssen. Dieses Gefühl hatte sie schon einmal gehabt,
vor langer, langer Zeit. Sie würde es auch diesmal nicht missachten. Lisa schloss
die Schublade ihres Nachtschränkchens auf und nahm ihre geladene SIG-Sauer an sich.
     
    Auf ihrem üblichen Weg zur Schule schaltete Lisa das Radio ein.
Zur Enttäuschung beider Kinder ging gerade ein aktueller Number-One-Hit zu
Ende. Als wäre es damit nicht genug gewesen, begann der Moderator ein wenig
erbauliches Gespräch mit einem maulfaulen Morgenmuffel, der die Frage »Wie
heißt der höchste Berg in Afrika?« nicht beantworten konnte und deshalb keine
CD von den Beach Boys gewann.
    Mit einem Tastendruck wechselte Lisa den Kanal.
    »... Salve niedergestreckt. Ein zweiter noch nicht identifizierter
Mann, vermutlich ebenfalls russischer Abstammung, wurde tot in einem
gestohlenen Volvo -Kombi an einer Kreuzung im Bezirk Kreuzberg
aufgefunden. Er war mit zwei Schüssen in den Kopf geradezu hingerichtet worden.
Bisher unbestätigten Polizeiangaben zufolge stehen diese Morde vermutlich im
Zusammenhang mit einem Bandenkrieg zwischen untereinander verfeindeten
russischen Mafiafamilien ...«
    »Mami, was heißt ›hingerichtet‹?« fragte Julia.
    Ehe diese antworten konnte, klärte ihr Bruder sie auf: »Hingerichtet
ist, wenn jemand umgebracht wird und das ganze Blut und die Eingeweide über das
...«
    »Daniel!« fuhr Lisa ihren Sohn an. »Wie oft soll ich Dir noch sagen,
dass Julia für solche Dinge noch zu klein ist!«
    Verärgert schaltete sie das Radio ab, ohne auf den einhelligen
Protest ihrer Kinder zu hören. »Russenmafia«, dachte sie kopfschüttelnd. Wenn
sie jedes Mal wüsste, mit wem sie es zu tun hatte, würde sie wohl noch
schlechter schlafen.
    Sie setzte den Blinker, bereitete sich auf das Abbiegen vor - und
trat unvermittelt hart auf die Bremse. Mit quietschenden Reifen und einem
gewaltigen Ruck kam der Wagen zum Stehen. Ein buntbehelmter Zweitklässler war,
weder nach links noch nach rechts schauend, mit seinem Mountainbike über die
Straße geprescht. Ohne sich umzublicken oder die Gefahr auch nur realisiert zu
haben, strebte er der Schule entgegen.
    »Typisch B-Klasse!« schimpfte Julia, während sie und ihr Bruder
sich wieder richtig hinsetzten.
    Ehe Lisa den Jeep beim zweiten Versuch wieder starten konnte,
sprang die Ampel über ihr auf rot. Mehrere Wagen waren geradeaus an ihr
vorbeigezogen. Hinter ihr hielten weitere Abbieger, allen voran ein schwarzer BMW .
Flüchtig blickte Lisa in den Rückspiegel - und erkannte Gromek!
    Im ersten Augenblick war sie verwirrt. Dann begriff sie, dass er
sie verfolgt haben musste. »Verdammter Mist! Dann hat er mich gestern Abend
also doch gesehen!« fluchte sie in Gedanken. »Die Kinder! Ich muss die Kinder
in Sicherheit bringen!« war ihr nächster Gedanke. »Äußerste Vorsicht - das
Zielobjekt ist bewaffnet und gefährlich«, klang die emotionslose Stimme ihres
Auftraggebers in ihrer Erinnerung nach.
    Lisa biss die Zähne zusammen. Ihr war klar, dass sie kaum Anhaltspunkte
hatte, anhand derer sie hätte

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