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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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einen Service-Wagen und zuletzt zwei
sich über einen Konstruktionsplan beugende Arbeiter ins Visier. Nachdem er sich
so eine Übersicht verschafft hatte, setzte er das Gewehr wieder ab.
    »Bin bereit. Erwarte Anweisungen. Ende.«
    Für einen Moment meldete sich niemand. Dann hörte Holtz die
männliche Stimme: »Zielobjekt steht vor der Konsole. Trägt ein rotkariertes
Hemd. Ende.«
    Holtz hob das Gewehr so schnell, als stünde er in der Savanne und müsste
ein plötzlich aus dem Busch heranstürmendes Wildschwein mit einem Schuss
erlegen. Die Arbeit konnte beginnen. Er nahm den Vorarbeiter im Fadenkreuz, prüfte
er die Windrichtung, korrigierte den Stand des Zwei-Bein-Stativs und brachte
sich in Schusshaltung. Keine fünf Sekunden waren seit dem letzten Funkkontakt
vergangen.
    »Objekt erkannt. Erwarte weitere Anweisungen. Ende.«
    Doch in den nächsten zehn Minuten passierte nichts.
    Unbeirrt behielt Holtz den Vorarbeiter an der Konsole im Visier.
Dieser sprach einmal in sein Funkgerät, dann diskutierte er mit Kollegen. Dann
hatte es den Anschein, als sei die Arbeit an der Konsole erledigt und der
Vorarbeiter würde verschwinden. Holtz fluchte leise. Aus dieser Entfernung
würde es verdammt schwierig sein, ein Ziel, das sich fortbewegte, optimal zu
treffen.
    Da er die letzten Minuten über ausschließlich durch das Zielfernrohr
geschaut hatte, begann Holtz' Auge zu tränen. So entging ihm der Kastenwagen,
der plötzlich über das abgesperrte Gelände fuhr und direkt in der Schusslinie,
nur wenige Meter von seinem Zielobjekt entfernt, zum Stehen kam. »Schöne
Sauerei!« dachte Holtz. Hätte man ihm die Schusserlaubnis ein oder zwei Minuten
früher erteilt, er wäre bereits auf dem Rückweg nach Berlin gewesen. Mit etwas
Pech käme er gar nicht mehr zum Einsatz und seine Zielperson konnte
verschwinden, ohne dass er oder sein Einweiser etwas dagegen hätten tun können.
    Doch der Kastenwagen blieb nicht lange in der Schussbahn stehen.
Der Fahrer, der lediglich einen weiteren Konstruktionsplan abgegeben hatte,
stieg nach wenigen Augenblicken wieder ein und startete den Wagen. Der machte
einen Satz und fuhr aus Holtz' eingeschränktem Blickfeld. Der Vorarbeiter mit
dem rotkarierten Hemd stand tatsächlich noch an seinem Platz.
    Nun ging alles ungemein schnell. In Holtz' Kommunikationseinheit
knackte es leise. Als hätte der Kastenwagen nie existiert, erklang ein
emotionsloses: »Achtung: Grün! Grün! Wiederhole: Grün!«
    Holtz hatte den Vorarbeiter schon wieder in das Zentrum seines
Fadenkreuzes gebracht. Er betätigte den Abzug, dessen Widerstand auf
dreitausend Gramm eingestellt war. Der Rückstoß war stark, wurde aber durch die
gepolsterte und ergonomisch anpassbare Schaftkappe deutlich gemindert. Als die
Kugel den Lauf verließ, blies der massive Mündungsdämpfer des Erma SR-100
seine Verbrennungsgase nahezu geräuschlos in die Umgebung.
    Aus einem für die zahlreichen in unmittelbarer Nähe stehenden
Arbeiter nicht erkennbaren Grund brach ihr Kollege auf einmal vor der Konsole
zusammen. Kaum waren die ersten Männer herbeigeeilt, um ihm zu helfen, fuhr
ihnen auch schon das schrille Heulen einer Alarmsirene in die Glieder.
    Entsetzt begannen die Arbeiter, durcheinander zu laufen. Innerhalb
weniger Sekunden brach ein unbeschreibliches Chaos unter ihnen aus. Einige stießen
in der Hektik miteinander zusammen, verloren ihre Schutzhelme und gingen zu
Boden. Der junge Fahrer preschte mit seinem Kastenwagen über den Asphalt, wich
einem Kollegen aus und prallte gleich darauf frontal gegen einen Stapel
Stahlträger. Sie alle wollten so schnell und so weit wie möglich weg von den
Tanks und Gasrohren, die jeden Augenblick explodieren und damit zu einer
tödlichen Falle für sie werden konnten.
    Und tatsächlich: Mit ohrenbetäubendem Krach erschütterte eine
heftige Detonation den ganzen Komplex. Sie war noch in einer Entfernung von
acht Kilometern zu hören. Eine Feuersäule stieß haushoch züngelnd gen Himmel,
begleitet von dichtem Rauch. Weitere, noch größere Explosionen ließen die ganze
Anlage erzittern, als sei ein gewaltiges Erdbeben ausgebrochen.
    Als Alexander Holtz aus dem Lagerhaus kam, deponierte er den Aluminium-Koffer
mit dem wieder in seine Einzelteile zerlegten Präzisionsgewehr neben der
rostigen Wellblechplatte und machte sich davon. Bald darauf saß er wieder in
seinem Wagen. Während weitere Tanks explodierten und dicke, giftige Wolken den
Himmel verdunkelten, rollte er gemächlich

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