Gromek - Die Moral des Toetens
diverse Landkarten und eine
Ansammlung kleiner Fläschchen mit Hochprozentigem enthielt. In einem Wandregal
hinter der Theke stand eine Handvoll staubverklebter Rennfahrerpokale, gesäumt
von ebenso vielen vergilbten Fotografien, auf denen mit feuchten Sektduschen
aus riesigen Flaschen gefeierte Siegerehrungen zu sehen waren. Der Gewinner
auf den zumeist schwarzweißen Bildern war jedes Mal derselbe: der Gebrauchtwagenhändler
in seinen besten Zeiten.
»Im Handschuhfach findest Du Zehntausend in kleinen Scheinen. Hau'
sie nicht gleich auf den Kopf, sondern versuch' zur Abwechslung mal, wenigstens
eine Woche mit dem Geld klarzukommen.«
Der Händler sah überrascht auf: »Zehntausend Eier? Was hast Du mit
der Karre angestellt?« witzelte er.
»Naja«, erwiderte Gromek zögernd, »ich sage es Dir nur ungern,
aber ein paar Löcher mehr hat der Schlitten jetzt schon. Ich fürchte, Du wirst
einen neuen Deckel für den Kofferraum brauchen. Dafür der Bonus.«
»Das ist nicht der Rede wert. Aber der Wagen ist doch jetzt heiß,
oder etwa nicht? Und wenn ja, für wie lange? Was schätzt Du, wie lange muss
...«
»Hör auf mich und sieh zu, dass Du für ein paar Tage von hier
verschwindest. Mach Ferien. Alles klar? Können wir dich mitnehmen - ich meine,
sollen wir dich irgendwo absetzen oder sowas?«
Der Gebrauchtwagenhändler schüttelte den Kopf. Er schien Gromeks
Rat nicht ganz ernst zu nehmen: »Nein, nein. Muss nicht sein. Ich hab' noch was
zu erledigen, bevor ich dicht mache. Mach's gut, alter Junge. Und lass mal
wieder von dir hören.«
Gromek trat aus der bimmelnden Tür und wandte sich zum Gehen. Nach
wenigen Schritten hielt er noch einmal inne. Es sah aus, als wollte er
umkehren, um noch etwas zu sagen oder zu tun, doch dann besann er sich anders.
Nach einem letzten zweifelnden Blick ging er endgültig.
Draußen auf dem Hof öffnete er die Beifahrertür des nicht gerade
ansehnlichen Japaners und reichte Lisa mit einem knappen »Du fährst« die
Schlüssel.
Bevor er einstieg, sah er sich gewissenhaft nach allen Seiten um,
konnte aber nichts entdecken, was seinen Verdacht erregt hätte.
Lisa startete den Wagen, setzte zügig zurück und fuhr in einer
großen Kurve vom Hof.
13 . Flucht
Erst auf dem Rückweg wurde Lisa bewusst, wie knapp sie dem Tode
entronnen war. Das unspektakuläre Geräusch, das die Maschinenpistolen-Kugeln
gemacht hatten, als sie das Heck der Corvette durchschlugen, würde sie
wohl nie mehr vergessen können. Genauso wenig wie das Feuergefecht in Bonn, das
ihren ersten Mann David und seine Schwester Sharon das Leben gekostet hatte.
Die Entschlossenheit, die sie vor der Tür von Bedri Rugovas
Wohnung empfunden hatte, der Killerinstinkt, der angesichts des Muskelmannes
wach geworden war, waren fort, als wären sie nie dagewesen. Nach der Attacke
des SEK kam sie sich klein, verloren und verwundbar vor. Und zu allem Übel
hatte sie auch noch das Gefühl, für Gromek mehr eine Last als eine Hilfe zu sein.
Verstohlen sah sie zu ihm hinüber. Er bearbeitete seinen tragbaren
Computer, als sei er allein auf dieser Welt. Zorn wallte in ihr auf. Wer waren
all diese Männer, die sich benahmen, als hätten sie das Recht, ihr Leben wieder
und wieder in Gefahr zu bringen wie Schachspieler, die ohne Skrupel ihre Bauern
opferten, weil für sie nur der große Sieg am Ende zählte?! Seltsamerweise hatte
sie noch nie eine Frau in einer höheren Position des Geheimdienstes gesehen,
ging es ihr durch den Kopf. Sie warf Gromek einen weiteren Blick zu. Sicher
erleichterten es ihm Routine und Erfahrung, mit Zwischenfällen dieser Art
umzugehen. Falls es so war, wie sie annahm, dann beneidete sie ihn jedenfalls
darum.
Eine Welle von Mutlosigkeit schwappte über sie hinweg, während sie
den Wagen durch die Stadt nach Hause steuerte. Lisa fragte sich, wie sie den
Rest des Tages durchstehen sollte. War es denn nicht inzwischen sinnlos
geworden, noch weiterzumachen? Wolfgang Bubeck, Alexander Holtz, Bedri Rugova -
sie alle waren tot. Ihre Bemühungen, wenigstens Holtz und Rugova auf ihre Seite
zu bringen, um die Hintergründe aufzudecken, waren kläglich gescheitert. Soweit
sie wusste, gab es nur noch Gromek und sie selbst. Alle Kräfte, die gegen sie
arbeiteten, konnten sich jetzt voll und ganz auf sie konzentrieren. Gromeks
erst am Vortag entwickelte Theorie erschien ihr immer wahrscheinlicher. Doch
wenn ihr Gegenspieler wirklich von der Zentrale der Sektion-4 aus
operierte, hatten sie dann überhaupt
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