Gromek - Die Moral des Toetens
Fensterbrett stand,
und biss kräftig hinein. Eben wollte sie sich verständnislos wieder abwenden, als
sich der dunkelgrüne Kleinbus in Bewegung setzte. Er steuerte direkt auf sie
zu. Gerda begann zu begreifen. Sie legte den Apfel zur Seite und eilte zurück
in den Garten.
Auf der anderen Seite des geräumigen Hauses flog die Tür des
Kleinbusses auf. Zwei SEK-Beamte sprangen heraus und öffneten in
Sekundenschnelle ihre Haustür. Weitere zwei Beamte und der Gruppenführer des
Kommandos liefen an ihnen vorbei und nahezu geräuschlos ins Haus. Das erste
Team schloss sich mit vorgehaltenen Waffen an.
Der Blick des Gruppenführers fiel auf den frisch angebissenen
Apfel, der noch gänzlich frei von Bräunungsspuren war. Mit entsicherten
Maschinenpistolen schwärmten seine Männer aus und begannen, sämtliche Räume zu
sichern.
Gerda hatte unterdessen geistesgegenwärtig ihre eigenen drei Kinder
sowie Julia und Daniel zusammengerufen. Gemeinsam schlugen sie sich durch eine
Lücke in der Hecke, die ihren Garten umschloss, zu einem der
Nachbargrundstücke. Obwohl alle fünf Kinder instinktiv den Ernst der Lage erfasst
hatten, musste Gerda sie ununterbrochen vom Zurücksehen abhalten.
Auf der Terrasse des Nachbargrundstücks saß ein älteres Ehepaar
und schaute griesgrämig auf, als sich ihre Nachbarin in Begleitung von gleich
fünf Kindern erdreistete, sie bei ihrem obligatorischen Samstagnachmittags-Kaffee
zu stören. Missbilligend beobachteten die Alten, wie ihr vorbildlich gepflegter
englischer Rasen von sechs Fußpaaren malträtiert wurde. Doch bevor sie sich so weit
gefasst hatten, dass sie in der Lage gewesen wären, die jüngere Frau zurechtzuweisen,
war diese auch schon wieder hinter der nächsten Hecke verschwunden.
Als die vermummten SEK-Beamten durch die Balkontür in Gerdas
Garten kamen, erkannte der Gruppenführer sofort, dass es für eine Verfolgung
der Personen, die erst vor wenigen Augenblicken das Haus verlassen haben mussten,
zu spät war. Weder wusste er, in welche Richtung sie geflohen waren, noch
durfte er riskieren, durch das Auftreten seiner Einheit die gesamte
Nachbarschaft in Aufruhr zu versetzen. Gereizt erteilte er den Befehl, zum
Fahrzeug zurückzukehren.
Vor der Wilmersdorfer Grund- und Realschule legte Lisa eine Vollbremsung
ein. Der rostige Japaner quittierte sie mit einem gequälten Ächzen, so als
wollte er auf diese Weise mitteilen, dass er derlei Fahrmanöver schon lange
nicht mehr gewohnt war, geschweige denn weiterhin akzeptieren wollte.
Mehrere Jugendliche, die in einem durch Jacken und zusammengerollte
Pullover gekennzeichneten Spielfeld auf dem Schulhof Fußball gespielt hatten,
drehten sich erschrocken nach ihnen um. Dann setzten sie ihr Spiel fort. Dabei
veranstalteten sie einen Lärm, als wollten sie nicht nur die Fußballspieler,
deren Fans sie waren, sondern gleichzeitig auch noch sämtliche fehlenden
Stadionbesucher ersetzen.
Mit laufendem, sich gelegentlich verschluckendem Motor hielten
Lisa und Gromek Ausschau nach Gerda und den Kindern. Gromek zog seine Glock und schraubte für alle Fälle den Schalldämpfer auf, äußerlich die Ruhe in
Person. Lisa dagegen war nervös. Würden ihre Kinder wohlbehalten vor der Schule
ankommen oder war ihnen im letzten Moment noch etwas zugestoßen?
Als Gerda mit Julia und Daniel durch einen der Elfmeterräume
gerannt kam, sah Lisa sie zuerst. Sofort stieg sie aus, klappte den locker in
der Verankerung hängenden Fahrersitz nach vorn und ließ ihre Kinder nach einer
hastigen Umarmung in den Wagen steigen. Beide waren glücklich, ihre Mutter
wiederzusehen, begriffen allerdings schnell, dass etwas nicht in Ordnung war.
Gromek hatte die Hand, in der er seine Waffe hielt, unter das Sakko gleiten
lassen, um die Kinder nicht zu erschrecken. Gewissenhaft suchte sein Blick
weiterhin die Gegend ab.
»Meine drei habe ich in der Schule gelassen«, stammelte Gerda
atemlos. »Macht schnell - ich glaube, wir wurden verfolgt!«
»Danke, Gerda«, erwiderte Lisa. Flüchtig küssten die beiden Frauen
einander auf die Wangen, bevor Gerda zurück zur Schule lief. Lisa stieg ein und
gab Gas.
Im selben Moment tauchte am Ende der Straße ein dunkelgrüner Bus
auf. Langsam, wie ein Raubtier auf der Pirsch, bog das Fahrzeug um eine Ecke
und hielt genau auf sie zu.
Routiniert wendete Lisa den Wagen und fuhr in die entgegengesetzte
Richtung. Die Tatsache, dass sie sich in einer Einbahnstraße befand und gegen
die vorgeschriebene Fahrtrichtung
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