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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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was einer fertigt; wenn er redet, ordnet er nur, und was er ordnet, war vor ihm da.
    Im Sprechen hatte er vergessen können, wer dieser Schramm war, und kannte schon nicht mehr seine eigenen Vorlieben, seine Abneigungen und Bedürfnisse. Jetzt, da es damit vorbei war, verstand er erst, was da in ihm gerührt hatte, Hingabe, flatternde Empfindlichkeit; noch wenn er zurückdachte an dieses Erleben, kam es wieder in ihn, wenigstens als Nachklang dessen, was in den guten Stunden mit ihm passiert war. Er hatte die Äderchen von innen an die Haut stechen gespürt, an schwingende Haut. Noch nach Stundenende war es nachgewallt in ihm, wenn er, im Klären einfachster Naturzusammenhänge, unvermittelt etwas Umfassenderes berührt hatte, im Denken durch die Decke gestoßen war, die hinter den Dingen lag und vor dem ersten Prinzip. Er hatte es Waidschmidt zu erklären versucht, das Empfinden, herauszutreten aus der Zeit. Doch in Wahrheit ist dieses Gefühl natürlich nicht zu erklären. Und wenn ein Lehrer spricht und seine Formeln an die Tafel schreibt, sieht man ihm nichts an, wohin auch sollte sie sich entladen, diese innere Erregung. Es ließ sich nicht mitteilen, es erzeugte nur Verwirrung, selbst einer wie Waidschmidt verstand es nicht, er hörte nicht einmal zu. Wenn ich erst mal hier raus bin, sagte er nur, ich kann nicht warten, bis ich endlich hier raus bin.
    Der Riss, der aus dem Planquadrat K  15 der Mitteleuropakarte heraus, an der Tapete des Kartenzimmers entlanggezittert war, er hatte sich gestreckt bis über die vorgestellte Fortsetzung der Grenze Ungarns hinaus, eine Grenze, die es so zu keinem Zeitpunkt gegeben hat. Es waren Männer von der Baubehörde gekommen, den Schaden zu dokumentieren. Über eine Woche brachten sie in dem Gebäude zu mit ihren Hygroskopen und Kameras. Sämtliche Aufnahmen und Messergebnisse wanderten, wie sie sagten, vorerst ins Archiv. Ein Gutachten wurde erstellt, das eine Instandsetzung des Baus nahelegte, Folgen blieben aus. Wer hätte wissen sollen, was in diesen Köpfen vorging, dachte Schramm, doch das war nicht sein Problem gewesen. Da sitzt er in seinem Kabuff, hatte es geheißen über ihn, weil er nicht mit den anderen um die Kaffeemaschine im Lehrerzimmer stand. Dergleichen war nicht an ihm vorbeigegangen. Da sitzt er und schaut dem Schwamm beim Wachsen zu, wurde gelacht. Die Kalauer konnten nicht dumm genug sein, doch fielen noch andere Anspielungen, zweideutige und hässlichere. Und ganz gleich, warum Waidschmidt ihn nicht mehr aufsuchte, war es doch wahrscheinlich das Glücklichere. Er saß ungestört, er hatte schon vergessen, wie gut das tat, er aß sein Brot und schaute die Karte an. Er war nicht wegen der Grenzen Erdkundelehrer geworden. Aufgemalte Linien auf dünner Oberfläche, so zufällig wie die Falten im Papier. Das Schulhaus, die Stadt und das Tal, die umliegenden Städte und Täler, Schulhäuser und Siedlungen standen auf Vulkangebiet. Wer Acht gibt, kann die Wände, den Boden unter den Füßen zittern spüren. Darum ist auf Schäden am Gebäude ein Auge zu halten. Das sollte jeder wissen, der meint, man lernte in diesem Fach nur Namen und Bezeichnungen, Stadt, Land, Fluss.
    Zwei Tage, hatte Schramm zum Grundkurs Erdkunde gesagt und mit Daumen und Zeigefinger die kurze Spanne verbildlicht. Zweimal schlafen, länger hat es nicht gedauert, ehe das Becken zwischen Europa und Afrika, wir kennen es heute als Mittelmeer, beflutet war. Man muss es sich vorstellen. Weniger, sagte Schramm, als ein Wimpernschlag. Ohne Scheu vor dem schiefen Vergleich sah er auf, zu dem Platz in der letzten Reihe, in Waidschmidts dösend aufgestütztes Gesicht. Ein Zucken, fuhr er fort, im Verhältnis zu den Erdzeitaltern, ein Atemholen nur, in dem vorhandenes Leben, ein ganzes fertig eingerichtetes Lebenssystem, Säuger, Wüsten, Pflanzen, von den einströmenden Wassermassen hinweggeschwemmt wurde.

H eute geht es besonders mühsam, das denkt sich schnell! Damit betrügst du nur dich selbst, sagte Schramm. Ein für die Schüler bestimmter Satz, trotzdem ist es oft der passende. Und nie hatte er besser gepasst als jetzt, da keiner mehr außer ihm die Ergebnisse seiner Arbeit prüfen konnte, keiner außer ihm forderte, sie zu Ende zu bringen, niemand, der ihm über die Schulter schaute, keine Rektorin, keine Vertrauenslehrerin, kein ehrgeiziger Abiturient und nicht einmal ein toter Vater, dem die Pflege des Gartens ohnehin nie eine Herzensangelegenheit gewesen war, immer nur lästiges

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