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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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gewusst. Wohin es einen bringen konnte, wenn man nicht Acht gab, noch nicht die innere Vorhut ausgebildet hatte, die sich jetzt nicht mehr aus ihm fortdenken ließ, in ihm die möglichen Folgen nächster und nachfolgender Schritte überschlug, stetig in Stellung stand, sich zum Geschehen zu äußern.
    Noch während des Referendariats hatte er den einen Schüler gehabt, einen großen Dunkelhaarigen mit Narbe, die ihm vom Stirnhaar abwärts in die Braue fuhr. Als meinte er noch mehr, als er sagte, so redete er. Woher hast du eigentlich diese Narbe, hatte Schramm ihn gefragt, wieso wollen Sie das wissen, zur Antwort bekommen, und diese Art des Antwortens, dachte Schramm, hatte stellvertretend gestanden für eine Reihe von Eigenschaften, für die ganze zwischen ihnen herrschende Grundstimmung. Es konnte schaden. Das hatte er gleich gewusst, die Klassenreise dennoch nicht abgesagt, obwohl er, wie er sich jetzt erinnerte, nahe daran gewesen war. Und sich im nächsten Moment wieder gesagt hatte, dass er es nicht übertreiben durfte mit seinen Ahnungen. Die Vorstellungskraft spielt einem Streiche, der Respekt vor der Realität behält am Ende den Sieg. So hatte er auf sich eingeredet, eingedacht, bis er zuletzt selbst nicht mehr wusste, was er denken sollte, als das Schiff bereits abgelegt hatte und er sich bloß noch festhielt in der Nähe des Drehpunkts, müßig bemüht, einen festen Punkt für den Blick zu finden an der wankenden Kante zwischen Himmel und Ägäischem Meer.
     
    Er musste sich beruhigen, wenn das Sausen wieder begann, er wusste ja, wie es entstand, es mochte klingen, wie es wollte, es ließ sich erklären mit einem Druckabfall im Innenohr. Es würde weiterziehen. Man durfte ihm nicht über die Maßen Beachtung schenken. Das Abschweifen ist eine Falle und das Erinnern eine Ausrede. Hatte er diese eben erst begonnene Arbeit abgeschlossen, käme die nächste, eins folgte ohne Lücke auf das andere, und eine Pause gab es nicht. Das hatte sein Gutes. Um den Rasen musste sich gekümmert werden, er hätte geschnitten gehört, gelüftet und getrimmt. Das Lüften strengte nicht an, das Lüften war als Arbeit sogar schön. In kleinen Schrittchen lief er mit den Nagelschuhen den Rasen ab. Sie rammten feine Löcher in den Boden bei jedem Schritt, hieben Schnittgutreste aus der Grasdecke, dass der Boden wieder atmen konnte. Das ging leicht, leichten Fußes beinah, und schon der Gedanke daran war eine Erholung, doch für Erholung war dies nicht der Moment, jetzt, da er eben erst warm geworden war. Er würde nicht aufhören.
     
    Bis zum Schluss hatte Waidschmidt sich nicht fortschicken lassen, nicht mit der Warnung, es würde Gerede geben, diese Warnung imponierte ihm nicht im Geringsten. Wie er gelacht hatte, als Schramm ihm eine bessere Note verweigert hatte, gelacht, als Schramm ihm eine Formel nicht herleiten wollte, mit der Begründung, dass es für den Moment zu schwierig sei. Sie kennen mich nicht, sagte Waidschmidt und: Sie sind Lehrer, Sie müssen die Dinge klären und nicht ein Geheimnis daraus machen.

M an sieht nicht, wie das Kraut wächst. Über Nacht ist es da. Selbst wenn er die Wurzeln mitsamt ihren feinsten Härchen ausgeschabt hatte, gewisse Arten wuchsen eher früher als später nach. Nicht ohne Grund trägt das Echte Springkraut seinen Namen: Rühr mich nicht an, sagt es. Mit dem Wind von den feuchten Waldwinkeln Sibiriens hergestreut. An dünnen Stielen baumelten die Blüten. Sie sahen mit dem gebogenen Sporn wie Trompetchen aus. Nur ganz leicht mit dem Finger antippen musste er sie, schon sprangen die Früchte auf und schleuderten ihre Samen fort. Binnen Jahresfrist brächen neue Triebe hervor. Im Gras der Böschung, mit Vorliebe in dem schattigen Winkel, wo die Mauer anschloss. Wozu die Mühe, werden viele hier einwenden. Er werde seine Gründe haben, hieß es über Schramm, das wusste er, wusste, wer auf ihn zeigte im Vorübergehen, wenn er über einer Arbeit kauerte, hockte oder kniete, wusste, wie man ihn sah. Als zögerte er das Ende absichtlich hinaus, weil er keine unerträglichere Vorstellung kannte als die, auch nur für eine halbe Stunde ohne Beschäftigung zu sein. Wie alle, die vorgeblich lauter dringende Ziele verfolgen, in Wirklichkeit auf der Flucht sind vor innerer Dumpfheit und Leere. Er hatte einen Artikel darüber gelesen. Nichts anderes wolle jede Tätigkeit, als von einem doch unübersehbaren Mangel abzulenken, von der fehlenden Fähigkeit zum Genuss.
    Im Warteraum des

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