Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
Vom Netzwerk:
ihrer Anerkennung, sagte Schramm zu den Lehrern und setzte, da die Runde wenig überzeugt wirkte, hinzu: Zumindest scheint es mir manchmal so.
    Es macht mir nichts aus, so hatte Waidschmidt es selbst gesagt, von Schramm befragt. Unbewegt hatte der Junge ihn angesehen, aufrecht, in den Sitz geschraubt. Immer dienstags nach der letzten Unterrichtsstunde hatte Schramm diesen Stuhl aus dem Winkel hinter dem letzten Regal geholt und die Mütter erwartet, immer dienstags hatte er den Stuhl nach der letzten Mutter in seinen Winkel zurückgerückt. Keiner außer Waidschmidt hätte ihn mit solcher Selbstverständlichkeit aus dem Eckchen geräumt, an beiden Haltestangen der Lehne gegriffen und vor Schramm hingestellt, so dicht an den Tisch heran, dass er, wenn er sich vorbeugte, die Hände auf die Schenkel gestützt, mit den Armbeugen an die Tischkante stieß.
    Ich verachte sie, hatte Waidschmidt über seine Kameraden gesagt. Störrisch und etwas wehmütig sein Blick über den hohlen Wangen. Es war nicht zu sagen, war das ein schöner Mensch, war er es nicht. Die mageren Schultern hochgezogen, unterm dünnen Lederblouson, den er trug jahraus und jahrein. Gleich, welche Hitze, welche Minusgrade, ging Waidschmidt in seinem dünnen, an den Schultern eckig verstärkten, um die Hüften eng geschnürten Kunstlederblouson. Selbst Verachtung, hatte er erklärt, ist ja noch ein viel zu großes Wort, und bereitwillig antwortete er auf die Frage nach Gründen. Man braucht keinen, sagte er, man ist ohne die anderen schneller am Ziel.
    Schon bei einer ihrer ersten Begegnungen hatte Waidschmidt diese Gedanken einmal dargelegt, gleich an dem Tag, im achten Schuljahr, als er Schramm zum ersten Mal vor dem Kartenzimmer erwartet hatte, um zu erklären, dass er unzufrieden sei. Waidschmidt bestimmte, wo es langging. Das war von Anfang an klar gewesen, und hier endete jeder Gedanke, glitt ab an diesem höflich und gebieterisch lächelnden Gesicht. Darum hatte Schramm sich eingelassen auf eine Unterhaltung, die immer nur eine Unterbrechung, nie ein Ende fand, weil jede Antwort wieder eine Frage auslöste und jede Behauptung einen Widerspruch. Einer drehte dem anderen das Wort herum, doch das gehörte in diesem Fall dazu, wie in jedem Gespräch, das diesen Namen verdient, in dem es nicht um Rechthaberei, sondern um die Sache selbst geht. Darum hatte er sich hineinziehen lassen und nichts bedacht. Nicht, was den Jungen antrieb, ob er sich einen Vorteil versprach.
    Wie eilig der es gehabt hatte, als es zum Pausenende blinkte, wie hastig, bußfertig er nach der Zeichnung griff, die Schramm eben zur Veranschaulichung eines Problems begonnen hatte. Der Blick des Jungen und alle Aufmerksamkeit waren fort mit einem Schlag. Eine Dankformel murmelnd, drückte er sich eng an Schramm vorbei aus dem Zimmer, nur sein Geruch war noch da.
    Was ist mit dir, hatte die Mutter gefragt, als Schramm an dem Tag nach Hause gekommen war, mit neuem anderen Hunger, weil während der Pause keine Zeit für eine Stärkung geblieben war. Er hatte es für eine einmalige Sache gehalten, und als Waidschmidts Besuche häufiger wurden, dachte er sich noch immer nichts dabei. Nicht täglich und nicht zu regelmäßigen Zeiten, verlässlich aber mehrmals in der Woche kam der Junge, bald, um etwas zu fragen, das im Unterricht unmöglich hatte behandelt werden können, bald, um einfach schweigend bei ihm zu sitzen. Der Mutter gegenüber erwähnte Schramm nichts, wenn sie ihm das Essen aufwärmte, ihre Fragen stellte, was es Neues gebe und wie der Tag gewesen sei. Dabei war die ganze Sache zum Verschweigen gar nicht wichtig genug, doch auch nicht wichtig genug, davon zu sprechen. Und während er noch nach einer nüchternen Formulierung suchte, war es bereits ein Geheimnis geworden, bevor sich das Reden mit ihr schließlich ganz erübrigte.
    Es hätte keinen Sinn gehabt, sagte er sich, keinen Sinn, es mit ihr zu bereden, noch weniger, den Jungen abzuweisen. Wann immer er in ihren Gesprächen versucht hatte, Abstand zu schaffen, zog es ihn nur tiefer hinein. Wenn er sich für Momente als der Überlegene gefühlt hatte, galt schon wieder eine andere Regel. Er wusste, wie es ablief, gleich, ob es zu etwas kam oder nicht, blieb da die Unschärfe, ein Flattern im Innern, das bei keiner Beschäftigung ganz zur Ruhe kam.
    Er hätte gewarnt sein können. Er war schon einmal in eine Verlegenheit gebracht worden. Aber vergleichen konnte man es nicht. Er war jünger gewesen, er hatte nicht Bescheid

Weitere Kostenlose Bücher