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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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nicht das Geringste von Zahlen, und wahrscheinlich war es das, woran er letztlich zugrunde ging. Man darf sich nicht mit dem Stillstand zufrieden geben, erklärte er oft, denn was nicht wächst, wenn alles rundherum wächst, fällt in Wahrheit zurück, nicht anders als ein Kind, das nicht lernt. Wohl gut erfasste er damit das Wesen des Geschäfts und war doch nicht Herr im eigenen Haus. Nachts schob er die Zahlen in seinem dünnhaarigen Kopf hin und her, denn nur weil die Büromädchen schlafen und die Bürotüren verschlossen sind, heißt das nicht, dass einer nicht mehr an die Bedürfnisse des Geschäfts denken muss, denn selbst wenn es voran geht und das Geschäft wächst, wachsen mit diesem seine Forderungen, sie machen keine Pause und werden den, der sie in der Hand haben will, überleben. Sie sind zu verschämt! sagte er über seine Söhne, und darin lag vielleicht schon der ganze Grund für seinen nicht auszuräumenden Schmerz, die Trauer, die ihn aus heiterem Himmel anfiel und in Zustände stundenlanger Lähmung versetzen konnte.
    Mitten im Rasenmähen, im Primelnsetzen konnte er von diesem Zustand angefallen werden. Es gibt darüber nichts zu sagen! schimpfte die Mutter, was starrt ihr! wies sie die Söhne zurecht, wenn es in Wahrheit der Vater war, der starrte, mit herabhängenden Händen, auf sein angefangenes Werk, das zu seinen Füßen aufgeworfene Blumenbeet oder das Schulheft eines Sohnes.
    Er ist immerhin etwas geworden! könnte man heute dem Vater entgegenwerfen, wenn er sich nach alter Gewohnheit neben einen kniete, einem prüfend über die Schulter schaute, unversehens in den Schenkel kniff. Und könnte zum Beweis auf den Bruder zeigen, dem der Vater nie etwas zugetraut, den Schramm stets verteidigt hatte, weil er in Wirklichkeit große Stücke auf ihn hielt.
     
    Viele waren es nicht, die vom Autobahnzubringer abbogen in die verkehrsberuhigte Straße, um diese Hundstagezeit. Gerade wenig genug, dass einer sich vollständig entfernt haben oder zum Stehen gekommen sein konnte, bevor das nächste Reifenpaar gegen die metallen aus dem Pflaster gewölbten Noppen stieß. Und auch wenn er es nicht wollte, weil ohnehin vorauszusehen war, dass sich die Ankunft des Bruders zumindest um Stunden verzögern würde, hörte Schramm doch bei jedem Wagen, der sich näherte, hin, nur um jedes Mal aufs Neue festzustellen, dass er sich getäuscht hatte, wenn die Wagentüren zuklappten vor einem anderen Haus.
    Das hatte es immer gegeben, dass er, über einer Korrektur oder einer Vorbereitung, ganz das Anfallende vergaß, für Minuten auf den Schreibtisch gestützt saß, hart an der Giebelwand, und mit keinem Gedanken mehr bei der Arbeit, nur noch bei den auf ihn eindringenden Reizen war. Beim Licht, das durch die Maschen des Wollvorhangs grottengrün auf den Teppich fiel, beim Kratzen der Krallen der Vögel an den Dachrinnen über ihm, ihrem Flattern und Picken am Blech des Fenstersimses. Bis er aufschreckte, wie aus leichtem Schlaf, wenn man sich zuckend selbst weckt nach einem geträumten Fall aus großer Höhe.
    Zu tief konnte er sich gar nicht versenken, alsbald würde er wieder herausgerissen, von einem gegen den Hang, an der Ortsumgehung beschleunigenden Moped, vom Japsen und Rufen der Kinder, wenn sie einander nachjagten, eines von ihnen scheppernd gegen das schmiedeeiserne Tor stieß. Die Striche ihrer Kreidezeichnungen reichten bis knapp an die Rampe seiner Auffahrt heran. Er hörte sie flüstern in den Hecken, er sah sie die Stäbe des Tors mit Fäusten packen und zwischen den Stäben ihre Augen. Oft fand sich in Büschen und Beeten ihr über die Hecke geflogenes, im Übermut geworfenes Spielzeug, Bälle aus Plastik, Tiere und eine Menschenfigur, kaum handgroß, ein blonder, speerschwingender Held. Schramm warf nichts weg, er sammelte die Fundstücke in einer eigenen Schachtel. Und einmal hatte er es auch im Guten versucht: Alle mal hersehen! hatte er gerufen, in der Mitte der verkehrsberuhigten Straße aufgestellt, die offene Schachtel in der ausgestreckten Hand. Doch griff keins der Kinder hinein, sie alle sahen nur ihn an, als begriffen sie nicht, was er von ihnen wollte.

D er Bruder würde sich erkundigen. Das war ganz klar. Genug in Anspruch genommen, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln, fand er doch immer einen Grund und Anlass, sich um die Sorgen anderer zu kümmern, und immer stellten sich die Geschichten am Ende so dar, dachte Schramm, dass die anderen Viktor zu danken hatten, ohne dass dieser

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