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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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Schramm, was es im Ganzen noch aufdringlicher gemacht hatte, noch unerfreulicher. Wie sie in ihren Reihen gehockt hatten, in der abgebrauchten Luft, bald Erwachsene, die Hälse reckten und lauerten, was als Nächstes passierte. Und das groß geratene Mädchen bei der Karte, der im Halter aufgerollten, nachzitternden Karte, stand vor den kreisenden Pfeilen auf blauem Grund, stand beim Kartenrand und rührte sich nicht. Nur die Flecken aus ihrem dünngewaschenen Halsausschnitt blühten über die Wölbung ihrer Wangen, bis an die Bucht ihres unsauberen Scheitels hinauf. Etwas zu dick war sie, zu dick und zu groß stand sie auf kleinen Füßen, in spitz zulaufenden Schühchen, eng geschnürt, dünn besohlt, aus brüchiger Baumwolle, vorn schon beinahe durchstoßen von unruhigen Zehen. Schramm tippte mit dem Fuß das Heftchen an, gab ihm einen Tritt, dass es aufflatterte, eine Schrittlänge entfernt liegen blieb. Was ist, sollen wir bis morgen warten, fragte er, und es wurde schon wieder ruhiger in ihm, während er wartete, dass sie sich bückte nach dem Heft, es zugeklappt an ihren Platz trug, ehe er eine Überschrift an die Tafel setzte, über den Gegenstand der Stunde zu sprechen begann.
    Er wusste nicht, ob Waidschmidt etwas mit der Sache zu schaffen gehabt hatte. So wie er nicht wusste, niemals wissen würde, hatte der ihn angeschwärzt oder sich ausgeschwiegen, Andeutungen gemacht oder alles abgeleugnet. Angeschwärzt und dann die Nerven verloren, weil es zur Hälfte erlogen war. Schramm würde zu keinem Ergebnis mehr kommen, nicht einmal für sich selbst zu einer Feststellung, welche der Möglichkeiten ihm am meisten missfiel. Er sah ihn stehen, im Schwarm um einen Felix herum gruppiert, einen Felix oder einen Lion, einen Wortführer jedenfalls von der Sorte, die auch das Lehrerauge leicht von weitem erkennt an dem im Reden behaglich zurückgelehnten Kopf, dem im Lachen weit geöffneten Mund. Hinter dem Fahrradschuppen hatte Waidschmidt sich dem Trupp beigestellt, sich herangeschoben, so hatte es ausgesehen, ein glücklos nachträglich an eine bestehende Gesamtheit gefügter Anbau. Und obwohl dazu nicht viel gehört, dachte Schramm, hatte Waidschmidt sich aufgeführt wie nach einem besonders knapp erkämpften Sieg. Die Mundwinkel nur leicht verzogen, hatte er im Unterricht, von seinem Aufpasserplatz in der letzten Reihe aus über die Reihen zu Schramm hinab geblickt, mit seinen schmalen Lippen am unterdrückten Feixen genagt, am dürftig überspielten Stolz. Auf welchen Kuhhandel hast du dich da eingelassen, dachte Schramm.
     
    Wie soll ich das wissen, hatte Waidschmidts Mutter gefragt. In fellgepolsterten Puschen hatte sie ihn empfangen, als Schramm sie zum zweiten Mal aufgesucht hatte. Er trank ihren dünnen Tee, die Teppiche schluckten die Schritte, wenn sie aufstand, etwas umherräumte, einen Aschenbecher brachte, Gebäck und wieder Tee. Keinen Schnaps. Und keine Antwort, nicht einen Hinweis hatte sie gegeben, darüber, ob sie etwas wisse, ob ihr Sohn unter Einfluss seiner Gefährten geraten sei.

E s machte ihn zornig oder machte ihn lachen, nichts dazwischen. Er kaute die Nüsse, eine nach der anderen, er warf dem Hund die Schalen hin. Der regte sich nicht mehr, der stand in Stellung hinterm hingesunkenen Zaun. Gewinkelte Vorderpfote, gerecktes Haupt. Ergraut um die Schnauze und stumm. Der Nachbar arbeitete nicht mehr. Seit die Tiere da gewesen waren, lag die Grube brach, lag nur das Mädchen bei sonnigem Wetter an ihrem Rand. Etwas stimmte da nicht. Was war bei diesen Leuten los. Da stand jetzt, da es vom Wald schon ernst und kalt herüberkam, nur noch der Hund.
    Die übrigen Nachbarn hatten Schadensmeldungen verschickt an ihre Versicherungen, mit Skizzen versehen und Fotografien. Schramm würde vorerst nichts unternehmen. Die Vogeltränke hatte er gerichtet, das war alles gewesen. Die Nierenschale aus Steingut war umgekippt, eine Lache Brackwasser verblieben, dürre Ästchen starrten heraus. Er hatte die Schale gründlich gereinigt, an ihren alten Platz gestellt, beim Stumpf der vorjährig gefällten Weymouthskiefer. Vögel haben einen Kompass im Hirn, auch wenn Wegmarken fehlen, orientieren sie sich. Morgen für Morgen saß der Sperling am Beckenrand, sträubte und plusterte sein nasses Gefieder, als wäre nichts gewesen.
    Nach wie vor wurde geschossen, beinahe jede Nacht. Vor allem um die Frischlinge musste es gehen, die Population war einzugrenzen. Tags sah Schramm den Nachbarn zu, wie sie an den zu

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