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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
Autoren: Bernd Frenz
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sah Gulbert an, der vor mir saß, in demselben weißen Gewand wie immer, mit dem weißen, wallenden Bart, und ich erkannte, dass er darunter doch nicht derselbe Zauberer geblieben war, mit dem ich einst die gefährliche Reise angetreten hatte. Die Finsternis hatte seine Seele berührt.
    Doch das, wie gesagt, sollte erst Jahre nach meiner Rückkehr aus Leuchmadans Berg geschehen. Davor, als das Heerlager bei Daugazburg sich auflöste und jeder seiner Wege ging, gab es noch etwas für mich zu tun. Ich brach alleine auf, ohne elfische Kindermädchen. Wer hätte bei dem Zerwürfnis der Völker auch auf einen unbedeutenden Halbling achten sollen?
    Es war Herbst, als ich an den See zurückkehrte. Einige Bäume hatten bereits ihre Blätter abgeworfen, und ihre kahlen schwarzen Zweige stachen aus dem bunten Laub des übrigen Waldes hervor. Nebel kroch in schweren Schwaden über den Boden. Es war kaum noch zu unterscheiden, ob ich in den zauberhaften Forst eintrat, mit dem funkelnden See in der Mitte, den ich bei meinem ersten Besuch vorgefunden hatte – oder in das kümmerliche Wäldchen mit dem brackigen Tümpel, das ich damals verlassen hatte. Kein Vogel sang, nur das Tropfen von den regenschweren Bäumen begleitete meine Schritte.
    Bald stand ich ein zweites Mal an dem Ufer, wo die Dame vom See mir den Schlüssel überreicht hatte. Ich hörte die Wellen träge platschen, spürte den nassen Morast zwischen meinen Zehen, aber ich sah nichts. Der Nebel stand so dicht vor mir, als wären Himmel und Wasser miteinander verschmolzen.
    »Herrin des Sees!«, rief ich. »Oder sollte ich sagen: dunkle Fei? Ich bin zurück. Volpar ist hier, um dir zu danken.«
    Ein geisterhaftes Lachen kam aus dem Nebel. Ein Gesicht formte sich zwischen den Schwaden. »Der kleine Wicht hat seine Aufgabe vollbracht – die Aufgabe eines Helden! Wer von den Großen hätte das für möglich gehalten. Und mehr noch, er ist schlauer aus Falinga zurückgekehrt und weiß nun mehr über seine Gönnerin.« Wieder lachte das zarte Gesicht im Nebel hell auf, und die Schwaden darum ließen an die Umrisse eines zierlichen Leibes denken, von schleierartigen Gewändern umflort.
    »Ich habe den Erzählungen von Soldaten und Heerführern gelauscht, den Legenden über die Finstervölker und ihre Erscheinungen, und ich habe meine Schlussfolgerungen gezogen. Nur eines verstehe ich nicht: Die Fei haben Zuflucht gefunden an Leuchmadans Hof. Warum hat eine von ihnen ihren Herrn verraten und mir geholfen? Du musst gewusst haben, dass deine Gabe, dein Schlüssel, dasjenige sein würde, was letztlich Leuchmadans Untergang und die Niederlage deines Volkes besiegelt.«
    »Die Niederlage meines Volkes?« Der Nebelstreif vor meinen Augen zitterte. »Na, na – wir wollen es doch nicht übertreiben. Leuchmadan ist fort, ein paar Goblins sind gestorben. Aber wir beide sind noch hier, und unsere Geschichte geht weiter. Bringst du mir, worum ich dich gebeten habe?«
    »Du meinst Leuchmadans Herz?«, fragte ich. »Ich bin hier, weil ich dir sagen wollte, dass es verschwunden ist. Die Zwerge haben es gestohlen, so heißt es.«
    »Oder die Elfen«, sagte die Fei. »Ich habe die Gerüchte gehört. Ich bin nicht ohne Spione im Lager meiner Feinde. Aber ich hatte gehofft, du hättest das Kleinod an dich gebracht, um unseren Handel zu erfüllen.«
    Nebelstreifen betasteten mich. Ich blieb standhaft. »Jemand ist mir zuvorgekommen. Und ich glaube nicht, dass es die Elfen waren, denn mein Volk steht unter ihrem Schutz, und ich war in ihrer Nähe. Ich hätte es merken müssen, wäre dieser Schatz beim Elfenkönig Parestas aufgetaucht.«
    »Vielleicht.« Der Nebel säuselte enttäuscht. »In jedem Fall hast du es nicht bei dir.«
    »Du hast mir noch immer nicht verraten, warum du deinen Meister Leuchmadan verraten hast.« Ich grübelte bei diesen Worten, ob meine Neugier noch einmal mein Tod sein würde. »Und was du mit Leuchmadans Herz anfangen wolltest.«
    »Leuchmadans Herz?«, fragte die Fei zurück. »Das Herz ist nichts weiter als ein lästiges Übel, das wir noch loswerden müssen. Die wahre Macht liegt in dem Kästchen! Alle Macht, die wir brauchen, um die Welt nach unserem Willen zu formen.
    Ich war Leuchmadans Sekunda, und als Geliuna, die Schwarze Fei, bin ich überall bekannt unter den Finstervölkern. Aber Daugazburg ist nicht meine Heimat. Ich habe dir gesagt, Wichtel, dass wir beide Verbannte sind. Einst wohnte ich in diesem See, ein Geist dieses Ortes, der der Liebe geweiht
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