Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
den Griff entlanglief, keine Bewegung, mehr ein Nachgeben. Ich versuchte es erneut und drehte den Schlüssel weiter.
Endlich griff der Bart, und hinter dem Stein bewegten sich Riegel. Ein einzelner dünner Tropfen rann aus dem Schlüsselloch, und ich bin heute noch davon überzeugt, dass diese Flüssigkeit aus dem Inneren des Schlüssels mir das Tor geöffnet hat, nicht die Passgenauigkeit des Barts. Hätte ich mehr Schlüssel wie diesen gehabt, was für Schätze hätte ich damit erringen können!
Aber es blieb bei diesem einen Mal, und als ich die schwere Steintür endlich aufdrücken konnte, hatte ich mein Ziel erreicht. Ich stand in Leuchmadans Hort!
Vom Großen und vom Kleinen
Was dann geschah, ist Geschichte und kann auch anderswo nachgelesen werden. Ich muss hier nicht in allen Einzelheiten wiederholen, wie ich das unzerstörbare Kästchen fand, worin Leuchmadans Herz geborgen liegt, inmitten jener gewaltigen Halle tief unter dem Berg, in einem alchimistischen Laboratorium unter strahlendem Zauberlicht, in dem alles verlassen war und mit einer dünnen Schicht Staub überzogen. Wie ich durch Gulberts magisches Tor zurückkehrte, mich abermals durch die Dunklen Lande schlug und das silberne Kästchen König Lukar und seinen Verbündeten brachte, buchstäblich im letzten Augenblick inmitten der entscheidenden Schlacht. 1
Fast schon Legende ist jene Geschichte, wie die Völker des Lichts mit Hilfe des Kästchens, das ich ihnen brachte, vor den Toren von Daugazburg siegten und der finstere Herrscher auf immer gestürzt wurde. Wie das Kästchen darauf verschwand und Elfen, Zwerge und Menschen sich deswegen entzweiten. Eine Legende, ja, und doch war ich dabei in jenen Tagen und hatte meinen Anteil daran.
Das alles ist aber nicht allein meine Geschichte, und darum will ich hier nicht mehr dazu schreiben.
Auch Gulbert der Zauberer blieb nicht verschwunden. In den Tiefen des Berges bezwang er seinen Feind, und eines Tages, Jahre später, stand er vor meiner Tür. Er blieb wortkarg über das, was geschehen war, und sprach lieber über andere Dinge, als wir bei einer Tasse Tee beisammensaßen.
»Zwei Entscheidungen habe ich gefällt auf jener Reise«, sagte Gulbert. »Das eine Mal ließ ich uns unsere Feinde angreifen und töten, das andere Mal schonte ich einen Gegner, und beides hätte uns beinahe ins Verderben gestürzt.«
Ich zuckte die Achseln, denn unser Abenteuer lag schon eine Weile zurück, und ich war über die Toten und den Schrecken hinweggekommen. »So etwas passiert«, antwortete ich. »Ob eine Entscheidung die richtige war, weiß man immer erst im Nachhinein. Und manchmal nicht einmal dann.«
»Es sollte anders sein!« Mit einem zornigen Funkeln unter seinen buschigen weißen Brauen schlug Gulbert auf den Tisch, dass das Teegeschirr klirrte.
»Wie denn?«, fragte ich. »Niemand kann alles voraussehen, was geschieht.«
»Man kann aber sorgfältiger planen und alles bedenken, was geschehen kann «, sagte Gulbert. »Und dafür Sorge tragen, dass jeder mögliche Ausgang in den eigenen Plänen berücksichtigt ist.«
Ich lachte halbherzig. Aber der Tag war zu schön, um solch schwere Gedanken zu wälzen, die Sonne fiel durch ein hohes Fenster in die Stube meiner Wurzelhöhle, und wir waren inmitten des friedlichen Wichtelforstes, umgeben von den Elfenreichen. Leuchmadan war fort, die Finstervölker geschlagen, ihre Länder verwüstet. Ich glaubte nicht, dass je wieder ein Krieg nötig sein würde wie jener, den wir hinter uns gelassen hatten. »Niemand kann die ganze Welt kontrollieren, Gulbert«, sagte ich, »und alles vorweg planen, was geschehen könnte.«
»Wer weiß?«, entgegnete Gulbert. »Nachdem alles vorüber war, blieb ich noch ein wenig länger in jenen verlassenen Gängen unter dem Berg. In dieser Zeit konnte ich meine Forschung zu magischen Herzen vollenden, und jetzt habe ich viel Zeit, um vollkommene Pläne zu schmieden.
Nie wieder werde ich eine so wagemutige Spielerei beginnen wie unsere Suche nach Leuchmadans Herz. Wenn ich in Zukunft etwas anfange, werde ich alles so sorgfältig vorbereiten und so viele Dinge zugleich in Bewegung setzen, dass die Entscheidung bereits gefallen ist, sobald der erste Zug getan wird. Ich werde darauf achten, dass meine Pläne nicht länger von einzelnen, zufälligen Entschlüssen abhängen, oder von den unberechenbaren Taten der anderen. Ich werde die ganze Welt und das Schicksal selbst kontrollieren, und wenn ich tausend Jahre dazu brauche!«
Ich
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