Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
gut, dass ich nun alleine war, nicht länger der kleine »Halbling«, der von seinen Gefährten mitgeschleift und beschützt werden musste!
In diesem dunklen Tunnel, auf dem letzten Stück zu Leuchmadans Herz, erkannte ich, wie sehr die Gegenwart großer Freunde einem den Geist vergiften kann, wie leicht man sich das wohlmeinende und doch verächtliche Bild zu eigen macht, das die großen Leute von den »kleinen Wichten« haben. Niemals mehr, so schwor ich mir, wollte ich mich in dieser Weise zum Kind machen lassen, von Gefährten, die mich nie als ihresgleichen anerkennen würden und die dennoch vorgaben, mein Bestes im Sinn zu haben.
Meine Laterne brannte in einem Licht, das kümmerlich wirkte gegen Gulberts Magie. Ein feiner heller Kegel wanderte vor mir her und ließ vieles im Dunkeln. Ich hatte meine Laterne bewusst so ausgestattet, dass ich mich verstohlen damit bewegen konnte, und ich hatte in ihrem Schein bereits die Gewölbe von Goblins und Zwergen in den Schraffelgraten durchstöbert.
Ich pirschte den Gang entlang und verengte den Schein meiner Lampe noch weiter, bis auf einen fadendünnen Strahl. Ich sah kaum etwas, aber ich sah genug. Meine anderen Sinne sprangen mir bei und füllten die Lücke. Ich fürchtete die Dunkelheit, doch sie bot mir auch Schutz. Meinem Volk war die Fähigkeit zu eigen, unbemerkt zu bleiben, und ich verließ mich darauf, dass die Finsternis mich ebenso verbarg wie jeden Feind, der hier auf mich lauern mochte.
Mit jedem Schritt wuchs meine Sicherheit. Der Gang wurde zu einem Ort wie tausend andere, die ich bereits erforscht und deren Bewohner ich übertölpelt hatte.
Und dann, ganz unvermittelt, endete er.
Die Felswand vor mir war so glatt wie die Seitenwände und der Boden, und ich hatte auf dem ganzen Weg hierher keinen Abzweig bemerkt. Ich geriet in Panik. Wenn ich am falschen Ort war, wenn der breite Korridor sich als Sackgasse erwies, dann war unsere Mission gescheitert und mit ihr alle Hoffnungen, die daran geknüpft waren.
Nicht nur, dass der Wächter dieses Ortes uns kaum die Zeit lassen würde, anderswo nach dem Herz zu suchen – zu allem Überfluss war auch noch Gulbert hinter mir damit beschäftigt, den Gang zu versiegeln. Wenn ich umkehrte, würde sein magisches Tor mich Lucan-weiß-wohin bringen, an das andere Ende der finsteren Lande, von wo aus wir allenfalls das ganze Unternehmen noch einmal von vorne beginnen konnten.
Ich war drauf und dran, auf dem Absatz kehrtzumachen und zu Gulbert zurückzurennen, in der vagen Hoffnung, dass ich ihn noch erreichte, bevor er seinen Zauber vollendet hatte. Ich verfluchte den Zwerg, der uns so selbstgewiss in die Irre geführt hatte.
Nur mein Unwille, gleich bei den ersten Schwierigkeiten wieder zum Rockzipfel des Zauberers zu greifen, ließ mich innehalten. Ich drehte den Docht meiner Lampe höher und betrachtete die Felswand vor mir genauer. Und da, ein kleines Stück oberhalb meines Kopfes, fand ich Metallstücke im Stein verankert, die nach Griffen aussahen. Ich zog und rüttelte daran, aber nichts bewegte sich.
Ich sah noch genauer hin. Zwischen den Metallgriffen, die im Laternenschein funkelten, gab es eine kleine Öffnung im Stein. Und ich dachte an den geheimnisvollen Schlüssel, den ich seit der Begegnung am See bei mir trug.
Behutsam holte ich ihn aus dem Kästchen. Ich konnte nicht anders, als mir meine Gedanken zu machen. Hatte die Dame vom See tatsächlich vor all den Wochen gewusst, dass ich letztendlich hier vor dieser Tür aus Felsgestein herauskommen würde? Wie konnte sie damals schon das Ende unserer langen Reise vorausgeahnt haben? Und woher hatte sie den Schlüssel?
Wie gesagt, ich machte mir meine Gedanken, und ich war nicht mehr derselbe ahnungslose Geselle, der damals an einem Seeufer in Bitan diese Gabe in Empfang genommen hatte. Ich hatte seither viel gelernt und aufgeschnappt, über die finsteren Lande, über Leuchmadan und seine Schergen.
Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, diese Gedanken weiter zu verfolgen. Ich steckte den eigentümlich klobigen Schlüssel in das Loch und drehte ihn. Der Bart, wie ich bereits festgestellt hatte, schwang lose mit und klirrte, dann steckte der Schlüssel fest. Ich zögerte kurz, bevor ich ihn mit einem entschlossenen Ruck gewaltsam weiterdrehte.
Es knirschte in dem Schloss. Unter meinen Fingern fühlte ich, wie im Inneren des Schlüssels etwas brach, und dann klemmte er wieder. Einen kurzen Augenblick lang. Ich fühlte, wie eine leichte Erschütterung
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