Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
der Tat. Sie hängt im großen Speisezimmer über dem Kamin.«
»Könnte ich sie mir vielleicht ausleihen?«
Krausefuß kratzte sich am Kopf. »Das wird nicht ganz leicht. Sie ist dort mit mehreren dicken Eisennägeln festgenagelt. Es handelt sich um ein Zierstück aus Herr Grünbeins Jugendtagen.« Die Augen des Haushofmeisters weiteten sich, als ihm ein Gedanke kam. »Ihr glaubt doch nicht, jemand aus unserem Haus könnte Herrn Grünbein erschossen haben?«
»Ich glaube bislang gar nichts«, entgegnete Holmser. »Ich stelle lediglich Fragen. Eine letzte hätte ich noch: Was gab es gestern Abend eigentlich zum Essen? Es roch verdammt lecker in dem Zimmer. Waren das Pilze?«
»Sehr gut, Herr Holmser. Ja. Herr Grünbein hatte Schopftintlinge in Rahmsoße mit Klößen zum Abendessen. Wunderbare Pilze, sehr schmackhaft, wenn man sie frisch zubereitet.«
»Aß er oft in seiner Studierstube?«
»Wenn er arbeitete, immer. Der große Speisesaal wird nur für Festivitäten genutzt.«
Holmser nickte gedankenvoll. Dann klopfte er sich tatendurstig auf den Bauch. »Und Ihr sagtet, dieses Pilzgericht sei einen Versuch wert? Ich könnte durchaus einen Happen vertragen. Der Mittag naht bereits. Also falls noch etwas von der Mahlzeit übrig ist …«
Krausefuß schüttelte den Kopf. »Leider nein, ich habe den Rest gestern Nacht noch selbst gegessen, damit er nicht schlecht wird. Aber ich kann unseren Koch Pimbin bitten, uns ein paar neue Pilze zum Mittagessen zu sammeln. Er kennt eine gute Stelle im Wald.«
»Pimbin?«, fragte Holmser. »Was ist aus dem alten Toppler geworden, der immer hinterm Herd stand?«
»Er ist nach Hammelfurt zu seinem Sohn gezogen, der dort eine Herberge eröffnet hat. Aber Pimbin ist auch ein guter Junge. Und ein vortrefflicher Koch! Er hat in kürzester Zeit all die Leibspeisen des Herrn gemeistert, und es beschämt mich fast zu sagen, dass er sie zum Teil besser zubereitet als Toppler, der stets dazu neigte, etwas zu schwungvoll mit dem Salzfässchen umzugehen.«
»In diesem Fall komme ich auf das Angebot später gerne zurück«, sagte Holmser. »Aber vor dem Schmaus gibt es noch einiges zu klären.«
Das nächste Gespräch führte er mit Euphelia Säckler-Grünbein und ihrem Gefolge.
»Euer Sohn Bolger ist Glasermeister, nicht wahr?«, fragte Holmser.
»Das ist in der Tat so«, bestätigte Euphelia. »Wieso fragt Ihr?«
Mein Freund wischte die Gegenfrage beiseite. »Reine Neugierde. Haltet Ihr ihn für einen gewissenhaften Arbeiter?«
»In jeder Hinsicht. Ich lasse nichts auf ihn kommen.«
»Also würde es ihm sicher nicht passieren, dass er bei einem Butzenfenster eine Scheibe so nachlässig einsetzt, dass sie bei der leichtesten Berührung aus ihrer Bleifassung fällt.«
Euphelia bedachte Holmser mit einem beleidigt wirkenden Blick. »Natürlich nicht. Was soll diese ganze Fragerei über meinen Sohn, Herr Holmser?«
Holmser legte die Fingerspitzen zusammen und sah sein Gegenüber nachdenklich darüber hinweg an. »Ich versuche mir das Mysterium zu erklären, warum in einem Fenster dieses Anwesens eine lose Butzenscheibe steckte; in einem Fenster, das wie alle anderen Fenster in der Umgebung zweifellos von Eurem Sohn angebracht wurde.«
»Vielleicht hat sie jemand nachträglich gelockert«, mutmaßte Euphelia. »Der Meuchelmörder zweifellos. Er hat die Scheibe herausgenommen, durch das Loch auf meinen lieben Bruder geschossen und sie danach wieder eingesetzt.«
»Ja«, sagte Holmser nachdenklich. »Womöglich hat es sich so zugetragen.« Er erhob sich. »Vielen Dank. Das war es schon für den Moment.«
Er wandte sich der Tür zum Korridor zu. Die Hand schon auf der Klinke, drehte er sich ein weiteres Mal zu den Säckler-Grünbeins um. »Ach, wusstet Ihr übrigens, dass Fondo an einem neuen Testament saß, als er starb?«
»Was sagt Ihr da?«, entfuhr es Euphelia. »Er wollte ein neues Testament verfassen? Warum sollte mein Bruder das tun?«
»Diese Frage könnt Ihr mir womöglich besser beantworten.«
»Das … Also …« Euphelia rang empört um Atem. »Wollt Ihr damit irgendetwas andeuten, Herr Holmser? So eine Unverschämtheit!«
Holmser schüttelte den Kopf. »Es lag keineswegs in meiner Absicht, Euch zu beleidigen. Ich dachte vielmehr daran, dass Ihr Eurem Bruder doch am nächsten gestanden und somit am besten gewusst haben müsstet, was in ihm vorging.«
»Oh, nun ja. Nein, ich weiß nichts über ein neues Testament, Herr Holmser.«
Mein Freund nickte beipflichtend.
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