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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
Autoren: Bernd Frenz
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verwickelte ihn in ein Gespräch über Augenmaß, Entfernungen und Bolzenflug. Schließlich lud er ihn gar dazu ein, mit uns einen Spaziergang auf die andere Seite der Gurgelbachklamm zu unternehmen, ein Angebot, das Findolfir gerne annahm, da seine Dienste in der Elbenkrone vor allem in den Abendstunden gefragt waren und bis dahin noch einige Zeit blieb.
    Bevor wir über die Gurgelbachbrücke auf die andere Seite der Klamm fuhren, machten wir einen Umweg über das Anwesen des alten Grünbein, wo Holmser Herrn Krausefuß einige Anweisungen erteilte, die ich, da ich die Kutsche lenkte, nicht mitbekam. Anschließend machten wir beim griesgrämigen Hamfast Erdmann Halt, dem Waffenschmied von Grünheim, und Holmser lieh sich unter Berufung auf seinen guten Namen drei verschieden große Armbrüste aus, die allesamt Bolzen der Größe verschossen, wie wir ihn in der Brust Grünbeins vorgefunden hatten.
    Auf dem Hügel angekommen, kletterte Holmser von der Kutsche und spazierte mit in die Westentaschen eingehakten Daumen und behaglich nach vorne gestrecktem Bauch zur Abbruchkante, hinter welcher das Land zur Gurgelbachklamm abfiel. Findolfir und ich begleiteten ihn, wobei mir die Aufgabe zukam, die Armbrüste zu tragen.
    »Mein werter Elbenfreund«, sagte Holmser, als wir die Klamm erreicht hatten. »Wärt Ihr so freundlich, Euren Blick auf das Haus auf der gegenüberliegenden Seite zu richten. Dort ist ein Fenster, direkt in der Mitte, uns beinahe gegenüber. Wie Ihr sehen könnt, befindet sich unmittelbar davor ein steiler Abhang, sodass auch ein geübter Kletterer Mühe hätte, sich dem Fenster zu nähern. Stimmt Ihr dem zu?«
    »Ich kenne sicher Männer und Frauen, die diesen Abhang bezwingen könnten, aber ohne magische Hilfsmittel fiele es ihnen nicht leicht«, erwiderte der Elb.
    »Könnten sie auch mit einer dieser Armbrüste durch das Fenster schießen, während sie sich gleichzeitig an den Abhang klammern?«, wollte Holmser wissen.
    Der Elb zögerte. »Ich bezweifle es.«
    »Dann wollen wir hiermit festhalten: Um durch das besagte Fenster zu schießen, müsste man sich auf dieser Seite der Klamm befinden.«
    »Sofern Ihr Magie außer Acht lasst und nicht fliegen könnt, ja.«
    »Die Anwendung von Magie in der unmittelbaren Umgebung des Fensters konnte ich bereits ausschließen«, erklärte Holmser. »Und auch die Möglichkeit eines fliegenden Übeltäters wollen wir einstweilen nicht weiter verfolgen. Das größte flugfähige Geschöpf, das in diesen Breiten lebt, ist der Graufederbussard, und der neigt nicht dazu, Schusswaffen einzusetzen. Oder seid Ihr über andere Dinge unterrichtet? Also in Bezug auf fliegende Geschöpfe, nicht den Graufederbussard, meine ich.«
    Findolfir schüttelte den Kopf.
    »Gut«, sagte mein Freund zufrieden. Er zückte ein Taschenfernrohr, zog es auseinander und suchte damit eine bestimmte Stelle am Fenster. Ich ahnte bereits, worauf er hinauswollte. »Seid so freundlich«, fuhr er an den Elben gewandt fort, »und schaut durch dieses Fernrohr zu dem Fenster hinüber. Darin befindet sich ein kleines rundes Loch, ziemlich in der Mitte, wo eine Butzenscheibe fehlt.«
    »Ich sehe es«, sagte Findolfir. »Dazu benötige ich kein Fernrohr.«
    Holmser schob selbiges wieder zusammen. »Ich unterschätze immer wieder die Sinnesschärfe der Elben«, bekannte er.
    Unser Begleiter antwortete mit einem milden Lächeln.
    »Mal sehen, wie es um Eure Treffsicherheit bestellt ist.« Holmser deutete auf die Waffen in meinem Arm. »Nehmt bitte eine der Armbrüste – welche, sei Euch überlassen –, und schießt damit einen Bolzen durch das Loch im Fenster auf das Ziel, das dahinter auf dem Schreibtischstuhl sitzt. Trefft es bitte genau ins Herz. Keine Sorge, es handelt sich nur um einen Strohsack, auf den der gute Herr Krausefuß ein Herz gemalt hat.«
    Findolfir nickte, besah sich die drei Waffen und wählte die stärkste Armbrust aus. Er spannte sie, legte einen Bolzen ein und zielte. Gleich darauf ließ er die Waffe wieder sinken. »Ich kann es nicht«, sagte er.
    Holmser hob die Augenbrauen. »Weswegen? Ich möchte bezweifeln, dass es Euch an Geschick mangelt. Ich weiß, dass Ihr einen Spatz im Flug zu treffen vermögt.«
    »Ich kann es nicht, weil es nicht möglich ist«, erklärte der Elb. »Das Loch im Fenster befindet sich in einem Winkel zum Schreibtischstuhl, der ein glattes Durchschießen verhindert. Ich habe entweder die Wahl, von hier aus zu schießen, dann treffe ich aber die Wand neben
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