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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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mein gutes Kräuterbier verzichten.«
    Unwillkürlich musste ich schmunzeln. »Na das, mein lieber Holmser, wäre wirklich tragisch gewesen.«

DIE BESONDERE GABE
von Bernd Frenz
    Der Abend, der die entscheidende Wende brachte, begann genau so, wie es der Halbling von klein auf gewohnt gewesen war: mit knochenharter Arbeit. Dachte er später an jenen Moment kurz vor der schicksalhaften Begegnung zurück (und das tat er beinahe täglich), lag ihm sofort wieder der unverwechselbare Geruch in der Nase, der wohl allen Hafenkaschemmen innewohnt. Meeresluft, dichte Tabakschwaden und das würzige Aroma frisch gezapften Bieres – jene eigentümliche Mischung, die im Laufe der Zeit tief ins Holz einer Schankstube einzuziehen pflegt.
    Es war an einem gewöhnlichen Wochentag, nach Anbruch der Dämmerung, und das Wirtshaus Zum letzten Fang war gut besucht. Der Halbling musste sich daher gehörig sputen, um immer genügend Nachschub für die durstigen Kehlen heranzuschaffen. Dass er kaum größer als ein Kind war, störte die Gäste wenig, ganz im Gegenteil. Vielen schmeckte der schäumende Inhalt ihrer Krüge gleich doppelt so gut, wenn der Schankknecht mit den zu kurz geratenen Beinen an ihnen vorübereilte. So mancher Fremde warf sogar Nussschalen oder spitze Kiesel auf den Boden, um den halben Mann , wie er überall genannt wurde, mit schmerzverzerrtem Gesicht umherspringen zu sehen.
    Dass es jemanden gab, der sich zeitlebens nicht an festes Schuhwerk gewöhnen wollte, ging vielen Menschen einfach nicht in den Kopf, und forderte sie dazu heraus, jenem, der so anders war als sie selbst, einen bösen Streich zu spielen. Zu ihrer regelmäßigen Enttäuschung waren die Fußsohlen des Halblings jedoch so hart, dass ihm selbst die Stacheln grüner Kastanien nichts anzuhaben vermochten. Da es zudem die Wirtsleute erzürnte, wenn Unrat den Boden verdreckte, blieb solchen Grobianen nichts anderes übrig als zu versuchen, den Halbling noch wüster zu beschimpfen als die einheimischen Gäste.
    Es gab wohl keine Schmähung, die der Halbling nicht längst zu hören bekommen hatte. »Spitzohr! Kleiner! Zwergenkaiser!«, schallte es ihm von allen Seiten entgegen, bevor die Bestellung folgte.
    Gutmütig lächelnd ließ er all diese Bezeichnungen über sich ergehen, wohl wissend, dass jeder Anflug von Ärger seine Peiniger nur zu noch größeren Gemeinheiten angestachelt hätte. Ohnehin gab es bloß ein einziges Wort, das ihn wirklich verletzte, eines, das manchmal die alten Fischer aus der Gegend benutzten, die um die näheren Umstände seiner Herkunft wussten.
    »Findling!« Natürlich war es der alte Grimhold, der ihn so rief, und gleich darauf anfügte: »Zwei Dünnbier und ein schweres Dunkles! Aaaber mit gaaanz langen Schritten, und so schnell, wie dich deine großen Füße tragen!«
    Äußerlich ungerührt, nickte der Halbling vergnügt, bevor er zum Tresen schritt, um das Gewünschte zu holen. Hohn und Spott über seinen zu kurz geratenen Körper perlten längst von ihm ab wie Regen von einer gewachsten Zeltplane, aber dieser eine Name, mit dem ihn Grimhold fortlaufend bedachte, schmerzte immer noch wie am ersten Tage. Warum nur?, dachte er, währen ihm Orm, sein unduldsamer Ziehvater, einige Krüge bis zum Überschäumen füllte. Schließlich bezeichnet Findling doch nur das, was ich wirklich bin! Ein ungeliebtes Kind, das fremden Menschen vor die Tür gelegt wurde, nur, dass es bei mir noch nicht einmal bis zur Hausschwelle gereicht hat!
    In Momenten wie diesen ging es dem Halbling häufig so, als könne er direkt in die Vergangenheit blicken. Dann glaubte er sich selbst in dem kleinen, halbierten Fass liegen zu sehen, das an den nahen Strand gespült worden war. Wer ihn in diese provisorische Wiege gebettet hatte, das wusste niemand, sicher war nur, dass er in jener Nacht so herzerweichend geweint hatte, dass einige Fischer aus ihrem Schlaf geschreckt waren. Nichts habe auf einen Schiffbruch hingedeutet, behaupteten jene, die ihn damals gefunden hatten. Selbst in den darauffolgenden Tagen und Wochen war kein einziges Trümmerstück auf der großen, weiten See oder am Ufer gefunden worden.
    Obwohl die Füße des Findlings schon damals ungewöhnlich groß und behaart gewesen waren, hatten die Fischer ihn zu Urna gebracht, die gerade den eigenen Sohn im Kindbett verloren hatte. Und tatsächlich hatte die junge Wirtin ihn an die Brust gelegt und mit der Milch gesäugt, die eigentlich dem eigenen Spross zugedacht gewesen war. Urna

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