Große Liebe Desiree
eigentlich auch, wenn ich bei deiner Erziehung alles richtig gemacht habe. Ich werde nicht mit ansehen, wie du hier sitzt und die Hände ringst und nach Jeremiah jammerst. Obadiah braucht dich. Und du wirst gehen.«
3. KAPITEL
Jack, der stets auf die Minute pünktlich war, wartete bereits gegenüber von Thompsons Schiffswerft, als die Kirchturmuhr zehn schlug. Er gab vor, die Messinglaternen im Schaufenster eines Händlers zu betrachten, als er Désirées Profil erkannte, das sich in dem polierten Metall spiegelte, während sie eilig hinter ihm vorüberging. Sie trug einen langen schwarzen Umhang mit zurückgeschlagener Kapuze und um den Kopf einen roten Schal, dessen fransige Enden munter auf ihren Schultern tanzten. Sie waren verabredet, aber ohne genau zu wissen, warum, unterdrückte Jack den Impuls, sich umzudrehen oder ihren Namen zu rufen. Statt dessen wartete er, bis sie die Straße überquert hatte. Er sah zu, wie ihr Spiegelbild in dem gewölbten Messing kleiner und kleiner wurde, bis ihr Schal nur noch ein verschwindender roter Punkt war.
Dann wandte er sich langsam um. Er kam sich wie ein Narr vor, daß er sie hatte vorübergehen lassen. Sie war jetzt leicht zu erkennen, die einzige Frau ihres Standes hier in der Hafengegend. Er war überrascht gewesen, als er ihre Nachricht erhielt, in der sie ihn um ein Treffen bei einer Schiffswerft bat. Er kannte keine Dame in ganz England, die gewagt hätte, allein hierher zu kommen, aber Désirée bewegte sich zwischen den rauhen Arbeitern mit einer Selbstverständlichkeit, die er einigermaßen ungewöhnlich fand. Eine anständige junge Frau plauderte einfach nicht mit gemeinen Handwerkern und nickte nicht in vertrauter Übereinstimmung zu ihren Antworten, als käme sie jeden Tag hierher. Soweit Jack es beurteilen konnte, tat sie genau das. Mit einem mißbilligenden Räuspern setzte er seinen Hut auf, den Hut eines Zivilisten, und folgte ihr.
Er war so darauf konzentriert, sie zu erreichen, daß er nicht bemerkte, wie die Männer ihre Arbeit unterbrachen, um ihm nachzusehen, einige neugierig, die meisten jedoch mit unverhüllter Feindseligkeit. Egal, ob er seine Uniform trug oder nicht, Jack war nicht der Mann, der irgendwo unbemerkt blieb. Und hier in Providence, wo immer noch viele Familien seit Generationen durch Blutsbande und Loyalität verbunden waren, gab es auf der ganzen Werft keinen Mann, der nicht wußte, daß er der englische Kapitän war, der nach Miss Désirée gefragt hatte. Sie wußten es alle, und keinem von ihnen gefiel es.
Sie stand am Fuße eines Hügels am Flußufer und sprach mit einem Mann, der, so vermutete Jack, der Baumeister war. Gerade wies sie auf eine halbfertige Schaluppe, während der Schiffsbauer, der mit dem Rücken zu Jack stand, betrübt den Kopf schüttelte. Als sie Jack erblickte, lächelte sie kurz und errötete ein wenig. Das gefiel ihm. Doch sie unterbrach ihr Gespräch mit dem anderen Mann nicht, um zu ihm zu kommen, und das gefiel Jack überhaupt nicht. Er stand nur wenige Schritte von ihr entfernt, so kerzengerade, als hätte er einen Stock verschluckt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er war es nicht gewohnt, ignoriert zu werden, und genau das tat sie.
»Guten Tag, Master Thompson!« Désirée wandte sich schwungvoll von dem Baumeister ab und ging wütend an Jack vorüber und den Hügel hinauf. Die schwarzen Brauen hatte sie ärgerlich zusammengezogen und ihre behandschuhten Hände zu Fäusten geballt. Sie warf Jack einen Blick zu, beinahe so, als hätte sie vergessen, daß er da war, und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen.
»Gewinsel und Getue, das ist alles, was ich von dem da höre!« sagte sie empört, als er sich ihr anschloß. In der kalten Luft beschlug sich ihr Atem mit Rauhreif, während sie sprach. »Ich sage Ihnen, in dieser Stadt kann man kein Geheimnis bewahren! Es wird schon darüber geklatscht, daß ich zu Obadiah muß und kein Sparhawk außer Großmutter sich darum kümmern wird, daß hier alles in Ordnung geht. Und dieser faule Hund von einem Schiffsbaumeister findet auch schon Ausreden, warum und wieso diese Schaluppe erst im Juni fertig sein kann. Im Juni, bei aller Liebe!«
»Ich bin überrascht, daß der Mann überhaupt Anweisungen von einer Frau entgegennimmt«, erwiderte Jack, der nicht in der Stimmung war, ihr beizupflichten, und folgte ihr den kahlen Hang hinauf. Er war davon ausgegangen, daß ihr Entschluß, mit ihm zu kommen, so gut wie feststand, und nun
Weitere Kostenlose Bücher