Große Liebe Desiree
Schute leicht zerzaust, war sie sogar noch hübscher als in seiner Erinnerung. Das zarte Rot ihrer Pelerine war der einzige Farbfleck zwischen dem hellen Stuck und dem gelbbraunen Holz, der Muff aus Biberpelz der einzige weiche, beinahe frivole Gegenstand an diesem strengen, schmucklosen Ort.
Aber wie reizend sie auch immer sein mochte, er würde sich diesmal nicht wieder einwickeln lassen.
»Sie sind mir gefolgt.« So, wie sie es sagte, war es eine Feststellung, kein Vorwurf.
»Der alte Seemann bei Ihnen zu Hause sagte mir, daß Sie hier seien. Ich kam hierher, um Sie zu treffen.«
Sie nickte, als ob das, was er sagte, Sinn machte, obwohl in Wahrheit ihre Gedanken so durcheinander waren, daß sie kaum zuhörte. Er gehörte nicht hierher, nicht in diese Kirche, nicht in ihr Leben. Er war Engländer, er war ihr
Feind seit dem Tage seiner Geburt. Sie war so sicher gewesen, ihn niemals wieder zu sehen, daß sein Anblick vor der hohen getäfelten Tür sie in Unruhe versetzte.
Sie zwang sich, ihm ins Gesicht zu sehen. »Jetzt haben wir uns getroffen, und dabei sollten wir es belassen, Kapitän Herendon. Sie vergaßen, daß ich Sie nicht zu sehen wünsche.«
»O ja, ich erinnere mich.« Jack bemerkte, daß sie seinen Titel weggelassen hatte, aber da sie Amerikanerin war, wollte er darüber hinwegsehen. »Gestern abend wiesen Sie mich aus Ihrem Haus. Aber ich glaube nicht, daß Sie das Recht haben, dasselbe hier zu tun.«
Er ging auf sie zu, den Hut in der Hand. Sein Haar war vom Wind zerzaust, und der adrette Zopf mit den goldschimmernden Wellen lag auf seinem Kragen. Er hatte darauf geachtet, den Mantel diesmal offen zu tragen, damit seine grün und braun gestreifte Weste, die so wenig wie möglich an eine Uniform erinnerte, zu sehen war. Eingehend betrachtete er die Galerie. »Ich war noch nie in der Kapelle einer Sekte.«
»Es ist keine Kapelle, es ist eine Kirche«, entgegnete Désirée förmlich. »Und in diesem Land werden wir im allgemeinen nicht Sektierer genannt, sondern Baptisten.«
»Nun habe ich Sie schon wieder angegriffen und wollte es gar nicht.« Jack seufzte resigniert. Er war so lange auf See gewesen, daß seine Höflichkeit etwas darunter gelitten hatte. Einen solchen Fehler jedoch konnte er sich nicht noch einmal bei ihr erlauben. »Sind solche Kronleuchter üblich in Baptistenkirchen? «
»Amerikaner sind keine Wilden, Kapitän Herendon. Wir waren einst alle Engländer, und das ist noch gar nicht so lange her.« Sie blickte zu dem Leuchter über ihrem Kopf empor, als sähe sie ihn zum erstenmal. Was, um alles in der Welt, hatte sie veranlaßt, die Worte ihrer Großmutter ausgerechnet jetzt zu wiederholen? »Meine Freundin Hope Brown hat diesen Lüster gestiftet, als sie vor sechs Jahren Thomas Ives heiratete«, beantwortete sie seine Frage.
Die geschliffenen Kristalle des Kerzenleuchters reflektierten das Licht, das ihr nach oben gewandtes Gesicht mit winzigen regenbogenfarbigen Punkten sprenkelte. Der An-blick gefiel ihm. Sie war nicht mehr ganz jung, nicht nach den Maßstäben der Gesellschaft, aber ihre ungekünstelte Art berührte etwas in ihm, und er ertappte sich dabei, wie er an den vergangenen Abend dachte und daran, wie es gewesen war, bevor sich die feindselige Stimmung zwischen ihnen aufgebaut hatte.
»Warum haben Sie nicht geheiratet, Miss Sparhawk?« Die Frage war unhöflich, aber es interessierte ihn nun einmal. Selbst Amerikaner konnten nicht so absonderlich sein, einer derart attraktiven - und offensichtlich wohlhabenden
- Frau nicht den Hof zu machen. »Sicher haben Sie Verehrer.«
»Und sicher haben Sie eine Ehefrau.« Bestürzt fragte sie sich, ob er sie wohl für eine hoffnungslose alte Jungfer hielt. Wieviel hatte Obadiah ihm erzählt? »Ich habe gehört, daß alle englischen Aristokraten untereinander heiraten müssen, um ihr Blut nicht mit dem gewöhnlicher Sterblicher zu vermischen.«
Er runzelte die Stirn und hielt eine scharfe Antwort zurück. Kein Wunder, daß sie nicht verheiratet war, wenn sie eine so spitze Zunge hatte. Er mochte vergessen haben, wie man flirtete und kokettierte, aber sie hatte diese Künste wohl nie gelernt. »Keine Ehefrau, Madam, und auch nicht die Aussicht darauf. Ich habe kein Vermögen außer dem, was ich verdiene, weswegen mich keine Mutter als Heiratskandidaten für ihre Tochter ersehnt. Ich bin den Aufwand nicht wert, egal, wie blau mein Blut sein mag.«
Er sah ihr in die Augen. »Wäre ich verheiratet, hätte ich Sie nie
Weitere Kostenlose Bücher