Große Liebe Desiree
er doch zu bedenken, daß sie nicht allein waren und er ihr das Gerede der wachhabenden Seeleute ersparen mußte.
Behutsam strich er ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht. »O ja, du sollst meine Désirée sein, meine Sehnsucht.«
Sie verschloß die Augen vor der Versuchung, die in seinen Worten lag. »Désirée schon, aber nicht Ihre«, sagte sie atemlos. »Oder Sie werden sich mit Jeremiah auseinandersetzen müssen.«
Beruhigend strich er mit einem Finger über ihre Lippen. »I mm er nur ein Bruder, Liebling«, sagte er sanft, »ich kann nicht mit euch allen auf einmal fertig werden.«
»Wir Sparhawks sind eine große Familie.« Sie lächelte traurig und schmiegte die Wange an seine Brust.
»Meine Familie ist genauso groß, drei von uns gegen drei von euch« erwiderte er. »Ich bin der jüngere Sohn wie dein Obadiah. Obwohl ich bezweifle, daß mein älterer Bruder mich oder meine Schwester mit einer ähnlichen Wildheit verteidigen würde wie Jeremiah.«
Warum erzählte er ihr das? Er sprach nie von seiner Familie, so wie er niemals von sich selbst sprach.
»Du hast eine Schwester?« Sie hätte nie gedacht, daß er eine Schwester haben könnte, nicht nur, weil er sie nie erwähnt hatte, sondern weil er so unabhängig wirkte, so frei von allem, was sie selbst an ihre Familie band.
»Julia. Lady Julia, die bezaubernde Belle von Rosewell, zumindest hat mein Vater sie immer so den Gästen vorgestellt. Sie und ich bevorzugten andere Versionen - Lady Julia, die schaurige Schurkin von Rosewell, oder die tollkühne Teufelin oder die reitende Rächerin.«
Jack blickte über das Meer, während er sich erinnerte, wie seine ältere Schwester die Augen verdreht und die Zunge herausgestreckt hatte, sobald sein Vater ihr den Rücken kehrte, so daß er lachen mußte und Prügel bekam. Aber er hätte alles getan für Julia. Wenn sie ihn zur falschen Zeit zum Lachen brachte, so stand sie zur richtigen Zeit als seine beste Freundin und Verteidigerin an seiner Seite, als weiblicher Kapitän ihres imaginären Piratenschiffes und als Ersatz für seine lieblose Mutter. Obwohl es mehr als zwanzig Jahre her war, konnte er sie immer noch vor sich sehen, in ihrem schmuddeligen weißen Seidenkleid, quiekend vor Lachen. Das hellblonde Haar flatterte im Wind, weil sie wieder einmal ihre Schleife verloren hatte.
Er schob die Finger in Désirées Haar. Sie waren sich sehr ähnlich, diese Frau und seine Schwester glichen einander in ihrer Loyalität und ihrer Kühnheit. »Ich glaube«, sagte er weich, »du hättest Julia gefallen.« Désirée lächelte ihn scheu an. »Ich würde sie gern kennenlernen.«
Er antwortete nicht. Die Kühle, die er auf einmal verspürte, vertrieb den Zauber der Nacht. Erinnerungen waren gefährlich. Wenn er es Julia allein zu verdanken hatte, daß seine Kindheit auf Rosewell erträglich gewesen war, so war sie es auch, die diese Kindheit auf furchtbare Weise zu Ende hatte gehen lassen.
»Das kannst du nicht«, sagte er kurz und nahm Désirées Arm. »Julia ist tot. Komm, ich bringe dich hinunter, bevor du erfrierst.«
6. KAPITEL
Das Klopfen an der Tür ging in ein Hämmern über, und Désirée wußte, es würde nicht aufhören, ehe sie geantwortet hatte. Sie stöhnte und drehte sich mitsamt der Bettdecke herum, so gut das in der engen Koje ging. Es muß kurz vor Morgengrauen gewesen sein, als sie endlich einschlief, und sie wollte um diese frühe Stunde noch nicht geweckt werden.
»Miss Sparhawk? Miss Sparhawk, Madam, ich hab’ Ihnen heißen Kaffee und Toast gebracht, Befehl von Käpt’n Fox. Es ist alles schon fast kalt vom langen Warten.« Die Stimme des Jungen kiekste, und er polterte wieder gegen die Tür. »Miss Sparhawk?«
»Ich komme.« Verschlafen kroch Désirée aus der Koje und zog die Bettdecke mit, um damit ihr Nachtgewand zu verbergen, ehe sie die Tür öffnete. Während sie sich die Decke um die Schultern legte, mußte sie daran denken, daß Jack gestern dasselbe getan hatte. Meine Güte, war das wirklich erst letzte Nacht gewesen?
Der Junge wurde rot, als er sah, daß sie noch nicht angekleidet war. »Ich bitte um Verzeihung, Madam, aber Käpt’n Fox hat gesagt, ich soll Ihnen das hier mit seinen besten
Wünschen bringen. Sehen Sie, wir haben wieder Feuer in der Kombüse.«
» Sag Kapitän Fox vielen Dank für seine Freundlichkeit.« Der Toast auf dem Tablett, das der Junge auf ihren Koffer stellte, war schwarz und trocken, ohne Butter oder Marmelade, um ihn schmackhafter zu machen,
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