Große Liebe Desiree
Augen übergroß wie die eines Wolfes im Schein einer Laterne, und sie zögerte, unsicher, wie sie sich verhalten sollte.
Jack verlor keine Zeit. Er sprang von der Koje und zog die grobe Wolldecke herunter. Wie ein Cape legte er sie um ihre Schultern, eine Geste, die zu großzügig war für die enge Kajüte, und Désirée kicherte unvermittelt, mehr nervös als amüsiert, als sie die Enden um sich zog.
»Na endlich«, sagte Jack, »ein Lächeln.«
Sie wünschte, er würde ebenfalls lächeln, damit die harten Linien aus seinem Gesicht verschwinden würden. »Ich bin nicht von Natur aus ein sorgenvoller Mensch, Kapitän Herendon.«
»Dann bin ich es, der Sie traurig macht?«
»Unter anderem.« Die grobe Wolle war noch immer warm von seinem Körper, und Désirée war umgeben von seinem männlichen Geruch.
»Heißt das, es gibt noch andere Dinge oder Menschen neben mir, die Sie traurig machen, oder erwecke ich neben anderen Gefühlen bei Ihnen auch noch das der Traurigkeit?«
»Das heißt unter anderem, das ist alles.« Sie sah zu, wie er den Mantel anzog. Seine Bewegungen waren überraschend anmutig und sparsam für einen so großen Mann in einem so kleinen Raum. »Sie haben in Ihrer Art und Ihrer Sprechweise weniger von einem Seemann als jeder andere, den ich kenne. Fast glaube ich, Sie sind gar keiner.«
»Oh, ich bin einer.« Endlich lächelte er doch, aber die Bitterkeit in seinem Tonfall nahm die beruhigende Wärme, nach der es Désirée verlangte. »Was immer ich außerdem noch bin, Seemann bin ich bestimmt. Los jetzt, verlieren wir keine Zeit.«
Sie ließ sich von ihm durch den schmalen Gang und über die enge Treppe an Deck führen. Sie fühlte die Kälte, der eisige Wind schnitt ihr ins Gesicht, und das selbstgemachte Cape wehte um ihre Beine. Dann sah sie die Schönheit der Nacht um sie herum, und alles andere war vergessen.
Seit ihrer Kindheit hatte sie durch die Männer in ihrer Familie von dieser anderen Welt gehört, durch ihren Vater, durch ihren Großvater, durch die Brüder und Onkel, aber nichts hatte sie auf das vorbereitet, was sie jetzt sah. Die letzten Sturmwolken wurden vom Wind gejagt, graue Wolkenfetzen vor der silbrigen Vollmondscheibe, und der samtblaue Himmel darüber war mit mehr Sternen übersät, als sie jemals vom Land aus gesehen hatte.
So weit Désirées Blick reichte, war die Wasseroberfläche noch immer aufgewühlt und unruhig, gekräuselt von kleinen Wellen, die das Mondlicht unentwegt einfingen und zurückwarfen. Die Katy unter ihre Füßen schien beinahe ein lebendes Wesen zu sein, wie sie da durch das Wasser schoß, das Großsegel gebläht, damit sie vorankam, und das Deck schwankend, als der Steuermann das Schiff auf Kurs brachte.
Désirée spürte den Wind auf ihren Wangen, Wasserspritzer flogen wie Diamanten um sie herum. Nie zuvor hatte sich Désirée so lebendig gefühlt, und sie hätte am liebsten laut gelacht vor Vergnügen. Kein Wunder, daß Jeremiah und Obadiah und alle anderen stets so begierig darauf waren, wieder auf See zu kommen, wenn etwas so Schönes sie dort erwartete!
Jack hörte ihren leisen Schrei des Erstaunens, bevor der Wind ihn mit sich davontrug, und er lächelte über den verzückten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Es wäre klüger gewesen, sie unten in der Kajüte zu lassen, aber dann hätte er sie dieses Moments beraubt, und sich selbst genauso. Andere Frauen hätten gejammert und über die Kälte geklagt und darüber, daß das salzige Wasser ihr Kleid beschädigen könnte, aber Désirée stand aufrecht im Wind und hielt ihm das Gesicht entgegen, während das lange schwarze Haar hinter ihr wehte.
Jack beobachtete sie, seine Freude über ihren Anblick tat beinahe weh. Irgendwie hatte er von Anfang an gewußt, daß sie so reagieren würde. Wenn sie diesen Zauber schon auf einem kleinen Kahn wie der Katy verspürte, dann konnte er kaum erwarten, sie auf der Aurora zu sehen, die zweimal so groß war wie diese Schaluppe und zehnmal so schnell.
Sie hob die Hände, damit der Wind in die Decke blies wie in ein Segel, und machte einen Schritt vorwärts, weg von Jack. Im selben Moment legte er den Arm um ihre Taille, um sie zurückzuziehen.
»Das reicht jetzt«, flüsterte er ihr ins Ohr, während er sie festhielt. Ihr Rücken berührte seine Brust, und er hatte den Arm um sie gelegt. »Ich möchte nicht, daß Sie über Bord gehen.«
»Aber ich wußte nicht, daß es so sein würde.« Sie war wie selbstverständlich an ihn geschmiegt, so daß er
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