Große Liebe Desiree
sicher war, sie hatte vergessen, daß er sie im Arm hielt. »Wir müssen heute Nacht am schönsten Ort der Welt sein.«
»Nichts so Romantisches«, sagte er leichthin. »Dort, der dunkle Schatten im Westen, das ist die Küste von Maine.« Aber er verstand, was sie meinte. Er hatte das Meer bei Nacht immer geliebt, und diese Liebe mit ihr zu teilen war, als hätte er ihr ein großartiges Geschenk gemacht. Er legte den Arm fester um ihre Taille. Sie war sicher genug auf den Beinen, um allein zu stehen, aber er war selbstsüchtig und wollte sie nicht gehen lassen, nicht, wenn es ihm ein so angenehmes Gefühl von Ruhe und innerem Frieden gab, sie zu halten und diesen Augenblick mit ihr zu teilen.
Gleich würde er sie loslassen. Nur einen Augenblick noch ...
Désirée wußte, sie sollte sich befreien. Er konnte noch so oft behaupten, daß er sie um ihrer Sicherheit willen hielt. Zwar war sie zum erstenmal auf See, doch wußte sie genau, daß sie sich an der Reling festhalten mußte, um nicht über Bord zu gehen. Aber es gefiel ihr, hier mit ihm zu stehen, den Bewegungen des Schiffes angepaßt, und ihr gefiel, wie sein Arm so beschützend um ihre Taille lag. Obwohl sie für eine Frau groß war, größer als mancher Mann, überragte Jack sie doch erheblich. Ihre Körper fügten sich gut zusammen, als er sie näher zu sich heranzog, er fest und muskulös, sie weich und anschmiegsam.
Oh, es gefiel ihr, gefiel ihr viel zu gut, wenn sie bedachte, wie wenig eine solche Geste einem Mann wie ihm bedeutete. Er würde ihre Gesellschaft willkommen heißen, solange sie ihn nicht mit ihren Sorgen behelligte. Aber hier, weit weg von Providence, in dieser zauberhaften Mondnacht, schienen die Regeln, nach denen sie lebte, nicht so wichtig zu sein. Vorstellungen von Anstand und Moral schienen seltsamerweise außer Kraft gesetzt, nur noch der Himmel voller Sterne zählte und der Mann mit dem goldschimmernden Haar, der sie fest im Arm hielt. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und blickte auf das Meer hinaus. »Wenn ich das hier sehe, wünsche ich beinahe, es würde nie eine Morgendämmerung geben.«
Seine Stimme war leise, seine Lippen so nahe an ihrem Ohr, daß sie die Wärme seines Atems spüren konnte. »Sie werden genug solcher Nächte erleben, wenn wir erst an Bord der Aurora sind. Falls das Wetter gegen uns ist, kann die Überfahrt Wochen dauern.«
»Sie könnte Monate dauern«, meinte sie leidenschaftlich, »und es wäre mir egal.«
»Obadiah vermutlich nicht.«
Désirée seufzte traurig. »Sie haben natürlich recht.« Sie hob den Kopf und versuchte, sich von Jack zu lösen, voller Selbstvorwürfe, daß sie sich so leichtfertig benahm, während es Obadiah schlechtging. Es war falsch von ihr, sie sollte sich schämen für ihre Selbstsucht. Aber irgendwie spürte sie, daß Obadiah sie verstehen würde, und hier auf dem Meer, das er so liebte, fühlte sie sich ihm merkwürdigerweise näher als in ihrem Elternhaus in der Benefit Street. »Für wie entsetzlich unsensibel müssen Sie mich halten!«
»Nicht entsetzlich, Désirée«, entgegnete Jack und zog sie an sich. Für sie ganz unerwartet preßte er die Lippen auf ihr Haar.
»Sie sollten mich nicht so nennen«, sagte sie in dem schwachen Versuch, zu protestieren und so ihr Gewissen zu beruhigen.
»Wie, bei Ihrem Vornamen? Was ist schon dabei? Wir sind hier auf See! Sagen Sie Jack zu mir, und Sie sollen meine Désirée sein.«
Sie wandte sich zu ihm um, wollte abwehren, doch statt dessen fand sein Mund den ihren, und seine Lippen fühlten sich warm an in der kalten Luft. Alle Einwände vergessend, erwiderte sie den Kuß, und ihre Lippen öffneten sich. Nachdem sie die wilde Schönheit der Nacht geteilt hatten, schien es unabwendbar, daß sie auch diesen innigen Moment teilten. Sie genoß es, seine Lippen zu fühlen und zu schmecken. Ihr Herz schlug schneller und ihrer beider Atem ging rascher, als der Kuß leidenschaftlicher wurde. Jacks unrasierte Wangen kratzten sie. Sie fühlte, wie er die Hand unter die Decke schob, über ihren Rücken gleiten ließ und über die sanfte Rundung ihrer Hüfte, auf eine Art, die sie entspannte und erregte zugleich, während sie sich an ihn preßte.
Er wollte mehr von ihr, als auf einem schwankenden Deck zu haben war. Aber dies war weder der geeignete Ort, noch würde sie jemals die Frau sein können, die ihn von seiner Einsamkeit befreite. Er löste seinen Mund von ihren Lippen. Sosehr sie sich auch ineinander verloren hatten, so hatte
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