Große Liebe Desiree
Wahl, sagst du.« Er sprang auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du läßt mir keine Wahl, das ist die Wahrheit. Du, Désirée, hast das Recht, dich loyal zu deiner Familie und deinem Vaterland zu verhalten, und ich setze mich ins Unrecht, wenn ich an etwas glaube?«
Sie nickte und haßte sich doch schon für die Entscheidung, die sie treffen mußte. Während sie ihn ansah, versuchte sie, sich all das ins Gedächtnis zu rufen, wofür seine Uniform stand. Doch sie fühlte nur, wie ihr das Herz brach. »Ich kann nicht, Jack. Nicht jetzt, da ich weiß, daß du meinen Vater, meinen Bruder und sogar mich getötet hättest, wenn man es dir befohlen hätte.«
Sie wandte sich um und rannte davon, ehe sie anfangen konnte zu weinen, ehe sie schwach werden und vergessen würde, wer und was er war und was er für sie niemals sein konnte.
Die Kerzen auf dem Tisch flackerten, als sie die Tür zuwarf, und Jack sank in den Lehnstuhl, der am Kopf der Tafel stand. Er hatte immer geglaubt, die Marine bedeutete ihm alles im Leben. In diesem Moment war er sich zum erstenmal nicht mehr sicher.
Désirée haßte ihn jetzt für etwas, das niemals geschehen war. Was würde sie tun, wenn sie erfuhr, das er ihren jüngeren Bruder getötet hatte?
»Sie sehen das ganz sicher Mr. Connor?« fragte Jack kurz und nahm dem Lieutenant das Fernrohr aus der Hand. »Ganz sicher?«
»Jawohl, Sir.« Der junge Mann stand stocksteif und versuchte, seine Nervosität zu bekämpfen. Der Kapitän lud selten einen der jüngeren Lieutenants ein, zu ihm aufs Achterdeck zu kommen, und er fragte sie schon gar nicht nach ihrer Meinung über ein Schiff, das sich am Horizont zeigte. Connors Adamsapfel hüpfte auf und nieder, während er formulierte, was er für die richtige Antwort hielt. »Ein Handelsschiff, Sir, eine Brigg, wahrscheinlich amerikanisch.«
Jack hielt durch das Glas nach den eckigen Segeln am Horizont Ausschau. »Und Sie stimmen mit mir darin überein, daß wir sie ohne große Schwierigkeiten besiegen können innerhalb von, sagen wir, einer Stunde?«
»Oh, jawohl, Sir, sie haben keine Chance, uns zu entkommen, nicht, wenn wir mit dem Wind ...«
»Ja oder nein würde reichen, Mr. Connor.«
»Jawohl, Sir.« Connors Gesicht war rot angelaufen. »Wir werden, Sir.«
Das ganze Schiff wußte, daß der Kapitän eine Auseinandersetzung mit der amerikanischen Lady gehabt hatte. Zuerst, als der Gehilfe des Kochs schwor, daß jedes einzelne Gericht unberührt wieder zurückgekommen sei, hatten die Männer sich vieldeutig angesehen und gegrinst in der Hoffnung auf einen gutgelaunten Kapitän und leichte Arbeit. Aber dann hatte der Matrose, der vor der Tür des Kapitäns Posten stand, berichtet, daß die Lady schon gegangen sei, ehe das Essen überhaupt auf dem Tisch stand. Die Lady, sagte er, habe sich in den Schlaf geweint und der Kapitän bis Tagesanbruch traurige Melodien auf seiner Flöte gespielt. Daß die Traurigkeit inzwischen schlechter Laune gewichen war, wußte Harcourt zu melden, und der Beweis dafür war das finstere Gesicht des Kapitäns, als er am Nachmittag endlich während Connors Wache nach oben kam.
»Sehr gut, Mr. Connor.« Langsam ließ Jack das Glas sinken. »Halten Sie weiter auf die Brigg.«
»Jawohl, Sir.« Connor tippte an seine Mütze und machte eine kleine Verbeugung. Er war erleichtert, es fast geschafft zu haben.
»Und Connor. Bitte ein Wort an Miss Sparhawk. Ich möchte sie umgehend hier sehen.«
Jack bemerkte die Überraschung in Connors Gesicht, dann verbeugte sich der Lieutenant noch einmal und ging davon. Wie lange, überlegte Jack, würde es wohl dauern, bis es allgemein bekannt wäre, daß er Désirée einbestellt hatte? Er war daran gewöhnt, unter ständiger Beobachtung zu stehen. Das kam daher, daß er derjenige war, der jedes Leben an Bord der Aurora in seinen Händen hielt. Es gehörte nicht viel dazu, sich vorzustellen, was an jedem Tisch geredet wurde. Grobe Annäherungen, mädchenhafte Abwehr, Désirées Tränen - o ja, er hatte sie auch gehört -, die rührseligen Seemannsballaden. Aber wer würde wohl die Wahrheit glauben?
Er trat an die Reling und genoß es, den kalten Wind in seinem Gesicht zu spüren. Désirée hatte ihm in einer Viertelstunde mehr Schmerz zugefügt als jede andere Frau in den letzten zwanzig Jahren. Nicht nur, weil sie ihn so leidenschaftlich geküßt und ihn dann mit seinem Begehren allein gelassen hatte. Nein. Anders als bei anderen Frauen waren Désirées Worte genauso
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