Große Liebe Desiree
daß ich dich verliere. Kein Franzose wird etwas von mir wollen. Sieh her!«
Sie streckte ein Bein vor und griff nach dem Strumpfband. Erschöpft, wie er war, sah Jack ihr nur bewundernd zu und genoß die leichten anmutigen Bewegungen ihrer langen, schlanken Beine.
Sie löste das Strumpfband. »Ich trage das immer bei mir, bis ich Obadiah wiedersehe. Wenn er genug Glück gebracht hat, um ihn all die Jahre zu schützen, dann wird er dasselbe für mich tun. Vielleicht auch für dich.«
Unter dem Strumpfband holte Désirée Obadiahs Shilling hervor und drückte ihn Jack in die Hand. Er glänzte im Kerzenschein und war noch warm von ihrer Haut.
Am nächsten Abend beim Essen war die Stimmung in der Offiziersmesse der Aurora gedämpft. Zwei leere Sitze verwiesen darauf, daß einer aus der Mannschaft tot war, der andere bewußtlos auf der Krankenstation lag, festgebunden in seiner Koje und so gut wie tot. Es gab zusätzliche Arbeit durch die Reparaturen, die notwendig waren für den Fall, daß es erneut zu einer Schlacht kam, und zusätzliche Wachen, die die erschöpften Männer anstelle der Toten oder Verwundeten übernehmen mußten.
Tag und Nacht wurde der Horizont vergeblich nach der flüchtigen Panthère abgesucht, und die frühere Erwartung der Mannschaft, sie bald kapern zu können, war längst verflogen. Sie war gesunken, war die allgemeine Ansicht, und mit dem französischen Schiff war auch die Aussicht auf Prisengelder verloren. Aber selbst auf diesem angeschlagenen Schiff war das Verschwinden der Franzosen nicht das einzige Gesprächsthema, und die Gerüchte verbreiteten sich rasch vom Achterdeck nach unten.
»Habt ihr gehört, daß der Kapitän letzte Nacht eine neue Eroberung gemacht hat?« fragte Connor, während er in der Offiziersmesse den Rotwein auf den Tisch stellte. »Harcourt hat versucht, es zu verheimlichen, aber allem Anschein nach hat die Yankee Lady am Ende doch noch vor Lord John Herendon kapituliert.«
Harris grinste. »Wurde aber auch Zeit, so wie sie den armen Kapitän gejagt hat. Ein hübsches Ding wie sie wird unseren Lord John wohl bis Portsmouth beschäftigen, was?«
Die anderen lachten, einige schlugen mit der flachen Hand auf den Tisch. Nur Macaffery, dessen Beziehung zu der Yankee Lady man vergessen hatte, blieb still und lächelte zufrieden.
Zum Teufel mit Portsmouth. Er würde sein Leben verwetten, daß der Kapitän sich bis Calais mit dem hübschen Ding amüsieren würde.
»Wenn der Wind weiter so günstig weht, werden wir morgen Spithead erreichen«, prophezeite Jack siebzehn Tage später, siebzehn Tage und sechzehn Nächte, die Désirée wie eine einzige kostbare Stunde erschienen waren. »Ich muß natürlich zuerst Lord Howe Bericht erstatten, aber wir werden sicher für die Reparaturen nach Portsmouth geschickt werden.«
Désirée kuschelte sich enger an Jack und schwieg. Selbst hier in seiner Nähe erschien ihr die Nacht kalt und unfreundlich. Es regnete, seit sie in den Ärmelkanal eingefahren waren, und das Trommeln der dicken Tropfen auf dem Deck über ihnen mischte sich mit dem Geräusch der Wellen, die an den Rumpf der Aurora klatschten.
Désirée sagte sich, daß sie glücklich sein sollte. In zwei Tagen würde sie wieder mit ihrem Bruder vereint sein. Sie zweifelte nicht daran, daß Obadiah mit Jacks Hilfe freikommen und sie bald erfahren würde, was mit seinem Schiff geschehen war. Die Reise nach Calais, um Monsieur Monteil zu sprechen, würde kurz sein, nur, um Mr. Macaffery zufriedenzustellen. Je nachdem, wie es um seinen Gesundheitszustand bestellt war und wann sie eine Passage bekommen würden, konnten Obadiah und sie im Sommer zu Hause sein. Wieder bei Großmama und Zeb und in ihrem Haus in der Benefit Street, wieder bei ihren Freunden, Tanten und Cousinen, an ihrem Schreibtisch, auf dem Stapel von Geschäftspapieren auf sie warten würden. Wieder in ihrem großen, einsamen Bett, das nicht pendelte, wieder in ihrem bequemen Leben, in dem jeder Tag wie der andere war.
Wieder in einer leeren Welt ohne Jack und ohne Liebe.
»Du kannst nicht an Bord bleiben, während die Aurora auf der Werft ist«, sagte er, und du wirst es auch nicht wollen, wenn fremde Handwerker hier herumlaufen. Aber ich habe eine alte Freundin, die dich gern aufnehmen wird, und ich bin sicher, ihr beide werdet euch gut verstehen.«
Sie wollte sich mit niemand anderem gut verstehen, nur mit ihm. Seit sie ein Paar geworden waren, hatte er es vermieden, von der Zukunft zu sprechen, von
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