Große Tiere
weitermachen«, sagte Winder. »Ich bin längst an einem Punkt angelangt, wo mir alles egal ist.«
Der Agent brauchte lange, um sich zu sammeln. »Dafür können Sie ins Gefängnis wandern«, murmelte er.
»Dafür, daß ich Sie mit Klebeband tätlich angreife? Das glaube ich nicht.« Winder drückte einen Streifen Klebeband auf die Linie weicher Härchen unterhalb von Billy Hawkins’ Nabel. Der Agent verfolgte hilflos und mit starrem Blick, wie Winder brutal an dem Klebeband riß; es löste sich mit einem leisen Schmatzen von der Haut.
»Sie – Sie sind ja völlig wahnsinnig!«
»Aber ich bin Ihre einzige Hoffnung. Wer würde Ihnen schon glauben, daß Sie von einer alten Dame niedergeschossen und aus dem Verkehr gezogen wurden? Und wenn man es Ihnen glaubt, wie würde sich das wohl auf Ihre Karriere auswirken?« Joe Winder breitete die Decke auf dem Fußboden aus und ließ sich im Schneidersitz vor dem gefesselten Agenten nieder.
»Blaine, Washington«, sagte Winder. »Ist das nicht das Sibirien des FBI?«
Hawkins dachte stumm über diesen Punkt nach. Der Prozeß gegen eine Großmutter und zwei mickrige Einbrecher würde politisch viel Porzellan zerschlagen. Das Bureau war ziemlich empfindlich, wenn es um Ereignisse ging, die dem von J. Edgar Hoover erzeugten Bild vom energischen Verbrechensbekämpfer erheblich widersprachen; für einen FBI-Agenten war es schlechterdings eine Schande, von einer tattrigen Rentnerin überwältigt zu werden. Eine sofortige Versetzung in irgendein gottverlassenes Kuhdorf war praktisch sicher.
»Was können Sie also tun?« fragte Hawkins säuerlich.
»Vielleicht gar nichts. Vielleicht kann ich auch Ihre Haut retten. Hat Molly Sie gezwungen, Ihre Zentrale anzurufen?«
Der Agent nickte. »Mit vorgehaltener Pistole. Ich habe gesagt, ich nähme wegen Krankheit zwei Tage frei.«
»Hat man Sie nach dieser Mafiasache gefragt?«
»Ich habe ihnen erklärt, diese Geschichte passe hinten und vorne nicht. Das Ganze sähe aus wie eine Erpressung.« Hawkins klang verlegen. »Sie hat mich gezwungen, das zu sagen. Sie drohte mir, wieder auf mich zu schießen, wenn ich ihren Anweisungen nicht Folge leiste – und es klang nicht so, als bluffte sie.«
»Sie haben genau das Richtige getan«, sagte Joe Winder. »Es hat keinen Sinn, es darauf ankommen zu lassen.« Er stand auf und wickelte sich wieder in die Decke. »Sie werden noch eine Weile so bleiben müssen«, sagte er. »Es ist die einzige Möglichkeit.«
»Ich begreife das nicht. Was haben Sie denn mit diesen Knallköpfen zu tun?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Winder, seien Sie nicht dumm. Das ist kein Spiel mehr.« Hawkins’ Stimme klang ernst, angesichts der lächerlichen Situation, in der er sich befand. »Es könnte Tote geben. Und das wollen Sie doch nicht, oder?«
»Das kommt darauf an. Nennen Sie mir den Namen dieses wertvollen Zeugen.«
»Frankie King.«
Joe Winder zuckte die Achseln. »Noch nie von ihm gehört.«
»Er ist von New York hierher gezogen, nachdem er einige Leute aus der Gotti-Familie verpfiffen hat. Das liegt schon einige Jahre zurück.«
»Ein kluger Schachzug. Und wie nennt er sich heute?«
»Das kann ich Ihnen wirklich nicht verraten.«
»Dann stehen Sie ganz allein da, Billy. Denken Sie drüber nach. Ihr Wort gegen das von Grandma Moses. Stellen Sie sich die Schlagzeilen vor: >Großmutter hat mich niedergeknallt, behauptet nackter G-man.<«
Hawkins sackte mutlos in sich zusammen. Er sagte: »Der Name des Kerls ist Francis X. Kingsbury. Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Kingsbury?« Joe blickte zum Himmel und brach in schallendes Gelächter aus. »Die Mafia kommt her, um Mr. X plattzumachen!«
»Hey«, rief Billy Hawkins, »das ist nicht lustig!«
Aber für Joe Winder war es sehr lustig. »Francis X. Kingsbury. Millionenschwerer Vergnügungsparkinhaber und Immobilienmogul, Liebling der Handelskammer, 1988 Rotarier des Jahres. Und Sie erzählen mir, er sei in Wirklichkeit ein kleiner Ganove, der sich vor dem Mob versteckt?«
Ausgelassen tanzte Joe Winder von einem Fuß auf den anderen, drehte sich im Kreis und wirbelte Mollys Decke herum wie einen Reifrock.
»O Billy-Boy«, sang er, »ist das nicht ein herrliches Land!«
Sie kamen mit einer halbstündigen Verspätung zum Flughafen, weil Danny Pogue darauf bestanden hatte, sich noch einen Dokumentarfilm des National Geographic über Nashorn-Wilderer in Afrika anzusehen. Im Wagen hörte er nicht auf, von dem Film zu erzählen. »Sie töten
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