Großer-Tiger und Christian
hatten, und auf ein anderes in ziemlicher Entfernung.
»Dorthinein müssen wir, wenn wir zur Passhöhe wollen«, sagte er, »aber ich weiß nicht, ob der Feind nicht schon am anderen
Ende steht.«
»Wer ist denn euer Feind?«, fragte Christian.
»Unser Feind ist der …« Doch da konnte der Hauptmann nicht mehr weiterreden, denn plötzlich fuhren Blitze aus der Tunneleinfahrt, und es krachte.
»Da ist er schon!«, rief der Hauptmann. »Springt schnell fort! Wir haben die Schlacht verloren!«
Damit hüpfte er leicht wie eine Feder vom Wagen; die Kanoniere sprangen hinterdrein und ließen ihre Kanonen stehen, so wie
sie es gesagt hatten.
Im Nu waren alle verschwunden.
Christian wäre auch gern fortgelaufen, aber er wusste nicht, wohin.
»Bleib hier!«, rief Großer-Tiger, »wir müssen uns flach auf den Boden legen; da ist keine Hilfe.«
Ach, dachte Christian, was wird die alte Ama sagen! Aber er legte sich gehorsam neben Großer-Tiger auf den Boden des Güterwagens,
und ihre beiden Herzen pochten sehr laut. Sie wagten nicht aufzuschauen, und wenn sie es getan hätten, so hätten sie nur das
dunkle Rohr der Kanone gesehen und darüber die schimmernden Sterne.
Das dauerte eine gute Stunde, und es war schrecklich, wie still es ringsum war. Die warmgelaufenen Achsen der Wagen knackten,
als es kälter wurde; das war alles, und man konnte sich regelrecht fürchten. Obendrein froren unsere beiden Helden jämmerlich,
aber aufzuschauen wagten sie nicht.
Viertes Kapitel, oder wie es einem ergeht, der nicht zur siegenden Partei gehört
Schon eine gute Weile blickten zwei Soldaten der dritten Division, die man die Unbesiegbare nannte, auf die beiden Überlebenden
der großen Schlacht. Die zwei Soldaten waren brave und tapfere Soldaten.
Sie waren zur gleichen Zeit durch den Tunnel patrouilliert, als der Zug in die Station Tsing-Lung-Kiao eingefahren war. Tsing-Lung-Kiao
heißt Prachts-Drachen-Brücke, aber das ist für unsere Geschichte weiter nicht wichtig.
Just als der Hauptmann sagte: »Unser Feind ist der …« hoben die beiden Soldaten der dritten Division die Gewehre, einer zählte leise bis drei, und dann schossen sie, und gleich
darauf schossen sie noch einmal und noch einmal, damit der Hauptmann wusste, wer der Feind sei.
Hernach schauten sie zu, wie der Hauptmann vom Wagen hüpfte, und wie die Kanoniere hinterdreinsprangen.
Als alle fortgelaufen waren, merkten die beiden Soldaten von der dritten Division, dass sie mit sechs blinden Schüssen einen
ganzen Eisenbahnzug mit Pferden, Wagen und Kanonen erobert hatten. Sie hatten aber keinen einzigen Mann des Gegners fangen
können, denn es war keiner da geblieben. Erst als sie zum letzten Wagen kamen, hatten sie Glück.
»Die sind aber noch klein«, sagte der erste Soldat leise.
»Sie müssen erst wachsen«, sagte der zweite Soldat.
»Sind sie am Ende tot?«
»Nein, sie sind nicht aus der Welt gegangen. Sie zittern.«
»Weil wir so frieren«, rief Großer-Tiger und hob den Kopf.
»Steht auf!«, sagte der erste Soldat.
»Wisst ihr, was ihr seid?«, fragte der zweite Soldat.
»Dieser ist Kompass-Berg, und ich bin Großer-Tiger.«
»Nichts davon«, sagte der erste Soldat.
»Ihr seid Kriegsgefangene«, sagte der zweite.
Christian ließ den Kopf hängen und Großer-Tiger auch. Es war traurig, auf einmal ein Kriegsgefangener zu sein. »Versteht ihr
was von einer Lokomotive?«, fragte der erste Soldat.
»Nein«, sagten Großer-Tiger und Christian, »davon verstehen wir nichts.«
»Dumm sind sie auch noch«, sagte der zweite Soldat. »Kommt jetzt mit!«
»Dürfen wir die Decken mitnehmen, befehlende Herren?«, fragte Großer-Tiger.
»Nehmt sie mit, aber sputet euch! Wir haben nur ein paar Minuten.«
Großer-Tiger sprang vom Wagen. »Da bin ich«, sagte er.
»Ich bin auch da«, sagte Christian.
Die zwei Soldaten nahmen ihre Gewehre unter den Arm und führten Großer-Tiger und Christian bis zur Mitte des Zuges. Da stand
ein Wagen mit einem kleinen Häuschen darauf. Auch eine eiserne Leiter war da, und als sie alle hinaufgestiegen waren, sagte
der erste Soldat: »Seht, hier ist ein Rad mit einem Griff daran.«
»Wir sehen es«, sagte Christian.
»An dem Rad müsst ihr mit aller Kraft drehen, sobald die Lokomotive pfeift. Es ist eine Bremse, und erst wenn es gar nicht
mehr geht, dürft ihr aufhören.«
»Wir werden ohne Aufhören daran drehen«, sagte Großer-Tiger.
»Gleich fahren wir zur Passhöhe hinauf«,
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