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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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wirklich, du könntest als Schwiegersohn ihre Nachfolge antreten, das schaffst du nicht, selbst wenn du dich noch so sehr aufplusterst, diese Schuhe sind nichts für dich. Komisch, dass Größe 39 zu groß ist, wenn man Größe 43 trägt. Weißt du, was sie immer sagte? Und grüße mir Eberhardchen. Natürlich war das gemein, sie hat damit uns beide kastriert, bei mir hatte sie ja von klein auf sehr erfolgreich Vorarbeit geleistet. Den Enkelkindern hat sie verständnisvoll zugenickt und zugelächelt,mir gegenüber hat sie nur mit einem Ausdruck von Ekel im Gesicht von Sex gesprochen. Das x explodierte dabei in ihrem Mund. Es wundert mich heute noch, wie man so viel Verachtung in eine einzige Silbe legen kann. Gleichzeitig war da ein schlüpfriges Interesse, sie musste immer genau wissen, wer mit wem … Aber sie selbst, sie war die Dame ohne Unterleib. Unvorstellbar, dass es nach Papas Tod einen Mann in ihrem Leben gegeben haben könnte. Unvorstellbar, dass zwischen ihr und Papa je etwas anderes gewesen sein könnte als kühle Höflichkeit. Wie komme ich dazu, über derlei Dinge nachzudenken, und noch dazu bei deinem Begräbnis, Mama. Wahrscheinlich bin ich wirklich so missraten, wie du mir zu verstehen gabst, Mama. Irgendwo auf der Welt gehen sie nach einem Begräbnis auf den Friedhof und treiben es auf dem frischen Grab. Keine Ahnung wo, ich weiß auch nicht, ob sie damit sicherstellen wollen, dass die Seele nicht herumirren muss, wenn sie einen neuen Körper zur Wiedergeburt braucht, wahrscheinlich ist es nicht so einfach. Ich bin so verwirrt, Mama, verzeih, alles ist verrückt, ganz wortwörtlich von der Stelle gerückt, wo es hingehört, die Welt ist in Unordnung geraten, du weißt doch, dass ich mit Unordnung nicht leben kann. Bitte, Mama. Ich gönne dir ja, dass du hinter dir hast, wovor du dich so sehr gefürchtet hast, ich hab’s gewusst, auch wenn du nie davon gesprochen hast, es war dann ja auch gar nicht schlimm, oder, ganz ruhig lagst du da, nicht einmal deine Lider haben geflattert, du hast einfach aufgehört zu atmen. Vor allem musstest du nie erfahren, was es heißt, auf andere angewiesen zu sein, und es war doch deine größte Angst, die Kontrolle zu verlieren. Alter Kontrollfreak, hat David einmal zu dir gesagt, und du hast gelacht. Er durfte so etwas sagen, er schon. Übrigens hatte er völlig recht. Du bist ein Kontrollfreak. Duwarst ein Kontrollfreak. Ich lass dich doch in Ruhe. Ruhe in Frieden. Noch gehst du mir nicht ab, aber ich weiß verdammt gut, dass du mir furchtbar fehlen wirst. Und sei’s nur, wie man immer wieder mit der Zunge den Zahn sucht, der gerade aufgehört hat wehzutun. Eberhard schaut herüber, sucht meinen Blick. Ich nicke ihm zu. Hab so gut wie kein Wort von seiner Rede gehört, da fällt es mir leicht, ihm die Anerkennung zu liefern, die er so nötig hat. Ich nicke noch einmal. Er lächelt, öffnet zwei Knöpfe an seiner Jacke, hebt die Hand, aber nein, er fährt sich nicht durch die Haare, das hat sie ihm offenbar auch abgewöhnt, er lässt die Hand sinken, setzt sich. Brav, Eberhard. Gut gemacht, Eberhard. Weißt du, Mama, das nehme ich dir schon übel, auch heute, gerade heute. Du hast mir die Brille aufgesetzt, mit der du Eberhard gesehen hast, und das hat alles zerstört. Nein, nicht alles, aber so ist die Bresche entstanden, durch die die Geringschätzung eindringen konnte, die ätzende Missachtung. Natürlich war ich dumm, eine verliebte kleine Gans, als ich nicht aus und ein wusste vor Rührung, wenn ich Eberhards Socken und Unterhosen von der Wäscheleine nahm und glatt strich, was heißt strich, ich streichelte sie glatt und trug sie andächtig zu seiner Kommode. Lächerlich, klar, aber es war auch schön, jeder Handgriff im Haushalt eine Liebeserklärung, von der er nichts ahnte. Bis ich ihn mit deinen Augen sehen musste; was du damals gesagt hast, habe ich vergessen, aber von einem Moment zum nächsten war er nicht mehr mein Held, ich wusste es nur nicht gleich, es hat quasi verzögert, aber dafür umso nachhaltiger gewirkt wie manche Medikamente und hat meine Liebe von innen her ausgehöhlt. Schrecklich, wie groß deine Macht war. Vielleicht hast du es selbst nicht gewusst. Eine Liebe ist doch nicht weniger groß, wenn ihr Objekt kleiner ist als derSchatten, den es wirft. Aber das konnte ich erst erkennen, als es zu spät war, als ich Eberhard nicht mehr ernst nehmen konnte, als ich ihn nur mehr mit nachsichtiger Milde anschauen konnte. Natürlich habe ich

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